Die Gewerkschaften sind gut aufgestellt: Der DGB, ein Dachverband der Einzelgewerkschaften, ist gegründet und die Aktiven sind zuversichtlich, dass sie die Neugestaltung der Wirtschaft beeinflussen können. Doch die Regierung Adenauer, die nach den ersten Wahlen zum Bundestag das Sagen hat, macht die Hoffnung auf eine demokratische Wirtschaftsordnung bald zunichte.
Die ersten freien Wahlen zum Deutschen Bundestag enden vermutlich für viele mit einer Überraschung. Anders als von SPD und Gewerkschaften erwartet, liegen CDU und CSU knapp vor der SPD. Konrad Adenauer von der CDU wird Bundeskanzler, die politischen Spielräume der Gewerkschaften sind damit deutlich eingeschränkt.
Dabei sind die Gewerkschaften gut vertreten im ersten Parlament. Fast ein Drittel der Bundestagsabgeordneten gehört einer Gewerkschaft an, 80 davon der SPD- und 22 der CDU/CSU-Fraktion. Doch die personelle Vernetzung mit dem Parlament, insbesondere mit der SPD-Fraktion, sagt wenig aus, über den tatsächlichen Einfluss der Gewerkschaften. Zum einen ist die SPD in der Opposition. Über sie die Abstimmungen zu beeinflussen ist angesichts der Machtverhältnisse im Parlament kaum möglich. Zum anderen: SPD-Fraktion und SPD-Gewerkschafter stimmen keineswegs immer überein. So befürwortet der DGB 1949 das Petersberger Abkommen und damit den Eintritt der Bundesrepublik Deutschland in die internationale Ruhrbehörde, die SPD ist dagegen. Die SPD lehnt den Plan zur Gründung der Montanunion ab, die Gewerkschaften wollen ihn als Beitrag zum wirtschaftlichen Wiederaufstieg. Vollends deutlich wird das eigenständige politische Engagement der Gewerkschaften in den Fragen der Wiederbewaffnung, der atomaren Ausrüstung der Bundeswehr und schließlich im Konflikt um die Notstandsgesetzgebung.
Doch das Engagement der Gewerkschaften zu allgemeinen politischen Themen wie Wiederbewaffnung und Notstandsgesetze stellt die Einheitsgewerkschaft häufig auf eine harte Probe. Viele, insbesondere Mitglieder die CDU und CSU nahestehen, sehen darin eine Verletzung der parteipolitischen Neutralität und sprechen den Gewerkschaften generell das Mandat ab, sich zu solchen Fragen zu äußern. Andere sind der Auffassung, Gewerkschaften hätten sehr wohl ein allgemeinpolitisches Mandat. Nur so könnten sie den Forderungen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nach einer Demokratisierung der Gesellschaft Gehör verschaffen.
Dieser Konflikt um das Selbstverständnis der Gewerkschaften spaltet den DGB. Nach dem Wahlaufruf „Für einen besseren Bundestag“ (1953) und dem Nein des DGB zur Wiederbewaffnung gründen Mitglieder, die der CDU/CSU nahestehen, zusammen mit anderen christlichen Arbeitervereinen, 1955 die Christliche Gewerkschaftsbewegung Deutschlands. 1959 wird die Organisation in Christlicher Gewerkschaftsbund (CGB) umbenannt.
Enttäuschende Mitgliederentwicklung
Die Spaltung schwächt den DGB, dessen Mitgliederentwicklung ohnehin hinter den Erwartungen zurückbleibt. Zwar steigt die Zahl der Mitglieder von fast 5,4 Millionen im Jahre 1950 auf 6,57 Millionen im Jahre 1965, doch der Organisationsgrad in den Betrieben sinkt, bei der IG Metall von 53,0 auf 34,2 Prozent, bei der IG Chemie von 51,3 auf 36,6 Prozent und bei der IG Bau von 30,2 auf 19,2 Prozent, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Hintergrund: Die Zahl der Erwerbstätigen legt in diesem Zeitraum von 14,5 auf 21,6 Millionen deutlich zu.
Dabei können sich die Erfolge der Gewerkschaften in der Tarif- und Sozialpolitik durchaus sehen lassen. Die Reallöhne steigen, die Arbeitszeit wird nach und nach – unterstützt von einem heftigen Arbeitskampf mit Streik und Aussperrung in der Metallindustrie im Jahr 1963 – auf 40 Stunden pro Woche verkürzt. Das Bundesurlaubsgesetz, das 1963 in Kraft tritt, garantiert allen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern drei Wochen bezahlten Urlaub pro Jahr.
Der vielleicht wichtigste sozialpolitische Erfolg ist die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. 1957, nach einem 16-wöchigen Streik der Metaller in Schleswig-Holstein, erklärt sich die Regierung bereit, die Lohnfortzahlung für Arbeiter und Arbeiterinnen im Krankheitsfalle gesetzlich zu verankern. Danach erhalten sie ab dem dritten Krankentag 90 Prozent des Nettolohnes. 1961 wird nachgebessert bis schließlich 1970 für Arbeiterinnen und Arbeiter die gleichen Regelungen gelten wie für die Angestellten. Sie bekommen ab dem ersten Krankheitstag 100 Prozent des Nettolohnes.
Kampf um die Mitbestimmung
Nur teilweise erfolgreich ist der Kampf der Gewerkschaften um mehr Mitbestimmung. Anfang der 1950er Jahre fordern die Gewerkschaften mehr Mitbestimmung auf allen Ebenen der Wirtschaft – im Betrieb, im Unternehmen und in der Gesamtwirtschaft. Doch mit ihren Forderungen stoßen sie nicht nur bei den Arbeitgebern auf Ablehnung. Auch die Regierung macht wenig Anstalten, den Gewerkschaften entgegenzukommen.
Erst nachdem sich in mehreren Urabstimmungen 90 Prozent der Gewerkschafter für Kampfmaßnahmen zugunsten der Montanmitbestimmung aussprechen, lenkt die Regierung ein. Am 10. April 1951 wird das Gesetz über die Montanmitbestimmung verabschiedet. Es garantiert die paritätische Mitbestimmung der Arbeitnehmerseite im Aufsichtsrat aller Aktiengesellschaften, GmbHs und bergrechtlichen Gesellschaften mit mehr als 1.000 Beschäftigten, die Kohle und Eisenerz fördern bzw. Eisen und Stahl erzeugen.
Gestärkt von diesem Erfolg sind die Gewerkschaften zuversichtlich, dieses Modell auf die Gesamtwirtschaft übertragen zu können. Doch weit gefehlt. Der Gesetzesentwurf der Regierung für ein Betriebsverfassungsgesetz bleibt hinter den Erwartungen des DGB zurück. Und daran ändern auch die Protestaktionen der Gewerkschaften nichts. Im Gegenteil. Sie führen zu einem Sympathieverlust. Der „Zeitungsstreik” der IG Druck und Papier im Mai 1952 wird auch von Kreisen, die den gewerkschaftlichen Forderungen wohlwollend gegenüberstehen, als Angriff auf die Pressefreiheit gesehen. Im Juli 1952 wird das Betriebsverfassungsgesetz im Bundestag verabschiedet, ohne dass der DGB nennenswerte Verbesserungen erreichen kann. Die Betriebsräte bekommen in personellen Angelegenheiten ein Einspruchsrecht, auf wirtschaftliche Entscheidungen der Unternehmensleitung haben sie keinen Einfluss.
Die Enttäuschung der Gewerkschafter ist riesig. Viele kritisieren, der Bundesvorstand des DGB habe die gewerkschaftliche Position nicht kämpferisch genug vertreten. Die Konservativen ihrerseits entfachen wegen des Zeitungsstreiks eine Debatte über das Streikrecht. Es wird im Laufe der 1950er Jahre nach und nach eingegrenzt.