Jahrzehntelang ist die Beziehung zwischen Gewerkschaften und Frauen ambivalent: Frauen sind als Mitglieder zwar willkommen, doch die politischen Entscheidungen treffen die Männer. Frauen ihrerseits haben wenig Interesse, sich in einer Gewerkschaft zu organisieren. Sie empfinden ihre Erwerbsarbeit als etwas Vorübergehendes und haben daher keine Veranlassung, sich für bessere Arbeitsbedingungen stark zu machen. Erst in den 1970er Jahren wird das Verhältnis spürbar besser.
Die Gewerkschaften treten von Anfang an für die Gleichberechtigung der Frauen ein: Sie fordern, Frauen die Mitarbeit in politischen Vereinen und die Teilnahme an Wahlen zu ermöglichen. Sie setzen sich ein für betriebliche Schutzvorschriften wie Mutterschutz, Verbot von Nachtarbeit und anderen Regelungen, um die Gefahren am Arbeitsplatz zu mindern.
Die Hürden für Frauen, Mitglied einer Gewerkschaft zu werden, sind im 19. Jahrhundert hoch. Nicht nur, weil ihnen die Mitarbeit in politischen Vereinen untersagt ist, sondern auch weil so manche Vorbehalte bei den männlichen Kollegen abgebaut werden müssen. Zwar sind sich die Gewerkschafter einig, dass Frauen Mitglied werden sollen, um die „Lohndrückerei“ zu vermeiden. Doch für eine eigenständige gewerkschaftliche Frauenpolitik können sie sich nur schwer erwärmen.
Anfänge der Frauenpolitik
Trotzdem wird die Arbeit für und mit Frauen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts intensiviert. Es werden spezielle Frauenverbände, wie der Zentralverein der Fabrik- und Handarbeiterinnen Deutschlands, gegründet, andere Gewerkschaften, z.B. der Fabrikarbeiterverband, richten Frauensekretariate ein. Es werden Zeitschriften speziell für Frauen herausgegeben, vereinzelt werden Frauen in die Vorstände von Einzelgewerkschaften und Generalkommission gewählt. Im März 1911 organisieren SPD und Freie Gewerkschaften erstmals Veranstaltungen zum Internationalen Frauentag, um den Forderungen nach einem Wahlrecht für Frauen, dem Acht-Stunden-Tag und einer Verbesserung des Mutterschutzes Nachdruck zu verleihen. Danach sind die jährlichen Veranstaltungen zum Internationale Frauentag fester Bestandteil der Frauenpolitik der Gewerkschaften - bis die Nationalsozialisten 1933 die Gewerkschaften zerschlagen. Nach dem II. Weltkrieg lebt die Tradition wieder auf - zunächst in der DDR, ab Mitte der 60er Jahre auch in Westdeutschland.
Aber das ist nur die eine Wahrheit. Die andere ist: Die Interessen der Männer, inbesondere der Facharbeiter, werden mit viel größerem Elan vertreten als die der Frauen. Die Gewerkschaften nehmen hin, dass Frauen in wirtschaftlichen Krisenzeiten aus dem Arbeitsmarkt verdrängt werden. In der Tarifpolitik geben sie sich mit niedrigen Löhnen für die Frauen zufrieden, weil sie un- bzw. angelernte Arbeiterinnen sind und nur „dazuverdienen“. Bis in 1980er Jahre tun sich die von Männern dominierten Gewerkschaften schwer, die Arbeitsleistung von Frauen gerecht einzustufen: Mal muss ihre geringe Qualifikation, mal die geringen Anforderung des Arbeitsplatzes als Grund für die niedrige Eingruppierung herhalten. Das Ergebnis ist stets: Die Frauenlöhne sind deutlich niedriger als die der Männer.
Zwar wird im Laufe der letzten Jahre die geschlechtsspezifische Lohndifferenz abgebaut, verschwunden ist sie nicht. Sieht man von den Unterschieden in Qualifikation, ausgeübtem Beruf und Arbeitszeit ab, so erreicht das Einkommen von Frauen – je nach Erhebung – zwischen 75 und 80 Prozent des Einkommens der Männer. Selbst wenn man diese Faktoren berücksichtigt und „nur“ die Tätigkeit selbst betrachtet, liegen die Fraueneinkommen für dieselbe Arbeit – je nach Erhebung – zwischen zwei und zehn Prozent unter denen der Männer. Die höhere Differenz weist eine Untersuchung der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft aus dem Jahre 2010 aus, die niedrige Prozentangabe nennt eine Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft aus dem Jahre 2013.
Weitere Informationen zur Entgeltungleichheit von der Hans-Böckler-Stiftung
Das Gender-Daten-Portal der Hans-Böckler-Stiftung
Das männliche Erscheinungsbild der Gewerkschaften verändert sich lange nicht, der Frauenanteil in den Gewerkschaften wächst nur langsam: Er steigt von rund 10 Prozent zu Ende des 19. Jahrhunderts über 17 Prozent 1951 auf 33 Prozent im Jahr 2014. Der Anteil von Frauen an der Gewerkschaftsmitgliedschaft ist damit auch heute noch deutlich niedriger als ihr Anteil an den Erwerbstätigen. Dieser liegt 2014 bei 44 Prozent.
Defizite in den Vorständen
Inzwischen ist Gleichstellungspolitik in allen Gewerkschaften angekommen: Frauen- bzw. Genderpolitik ist keine „Frauendomäne“ mehr, sondern als Querschnittsaufgabe gewerkschaftlicher Politik anerkannt. Längst geht es nicht mehr allein um Arbeitsschutz und Lohngerechtigkeit, sondern auch um die gezielte Förderung von Qualifikation und beruflichem Aufstieg von Frauen – bis in die Leitungsgremien von Betrieben bzw. Unternehmen.
In den gewerkschaftlichen Führungspositionen, speziell an der Spitze von Einzelgewerkschaften, sind Frauen nicht oder kaum vertreten. Von einigen Ausnahmen abgesehen: 1982 wird mit Monika Wulf-Mathies die erste Frau zur Vorsitzenden einer Einzelgewerkschaft (ÖTV) gewählt. Darüber hinaus schaffen es einige wenige in die geschäftsführenden Vorstände von DGB und Einzelgewerkschaften. Von einer 30-Prozent-Frauenquote, wie sie seit Anfang 2016 für Aufsichtsräte in börsennotierten Unternehmen gesetzlich vorgeschrieben ist, sind die Gewerkschaften noch meilenweit entfernt.