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Zugehörigkeit stärken: Traditionen und Symbole der Gewerkschaften
Wie jede soziale und politische Bewegung haben die Gewerkschaften ihre eigenen Symbole und Rituale ausgebildet, mit denen sie ihre historische Tradition und zugleich das Gefühl der Zugehörigkeit gestiftet und gestärkt haben.
Allen Symbolen und Ritualen gemeinsam war und ist das Bemühen, die gemeinsamen Grundwerte von Solidarität und Geschlossenheit augenfällig zu gestalten, die Zugehörigkeit zur Gewerkschaftsbewegung zum Ausdruck zu bringen und politische Identität und organisatorische Dauerhaftigkeit der Gewerkschaftsbewegung zu unterstreichen und zu festigen. Dafür steht in besonderer Weise die Anrede als Kollege bzw. Kollegin.
Anstecknadeln und Mitgliedskarten
Die individuelle Zugehörigkeit wurde durch Anstecknadeln und allein schon durch die Mitgliedskarten bzw. -bücher dokumentiert; dazu gehörte die persönliche Form der wöchentlichen Beitragskassierung mit dem Aushändigen der Beitragsmarken. Abgelöst wurden letztere erst in den 1960er/70er Jahren durch die bargeldlose Zahlung der Beiträge. Trug die Einzugsermächtigung gewiss zur Verringerung der hohen Fluktuation in der Gewerkschaftsmitgliedschaft bei, so bedeutete sie doch auch den Rückgang des persönlichen Kontakts zwischen Vertrauensleuten und Mitgliedern.
Fahnen
Die kollektive Identität wurde durch eigene Fahnen, mit denen an die Gründung oder an Jubiläen der jeweiligen Gewerkschaft oder ihrer Ortsgruppe erinnert wurde. Besonders kunstvoll waren die im Kaiserreich und in der Weimarer Republik hergestellten Fahnen. Die Gestaltung, z.B. mit Eichenlaub- und Lorbeerkränzen, entsprach dem Zeitgeist und verlieh den Gewerkschaften die Aura von Gediegenheit und Ehrenhaftigkeit. Diese Bildsymbolik kennzeichnete auch die Fahnen der anderen Richtungsgewerkschaften, so auch die der Hirsch-Dunckerschen Gewerkvereine.
Sinnbild für die Prinzipien der gegenseitigen Unterstützung und Einheit, also für das solidarische Zusammenstehen der Arbeiterschaft war das Symbol der Verbrüderungshände, das Symbol des Handschlags. Übernommen aus der Bildwelt der von Stephan Born gegründeten „Arbeiterverbrüderung“, wurden die ineinander gelegten Hände zum zentralen Symbol vor allem für die sozialdemokratische Arbeiterbewegung und damit auch für die Freien Gewerkschaften, die es insbesondere auf Fahnen verbreitete.
Es wurde nach 1945 freilich zum Parteisymbol der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED), das die Überwindung der Spaltung von Sozialdemokraten und Kommunisten dokumentieren sollte.
Bildergalerie: Historische Fahnen der Gewerkschaftsbewegung
Protokollbücher
Gefestigt wurde der Zusammenhalt der Mitglieder durch Ortsversammlungen, deren Verlauf vielfach protokolliert wurde und damit in den Rang einer überliefernswerten Geschichte gehoben wurde. Die Protokollbücher sind Ausdruck dieses historischen Selbstbewusstseins.
Gewerkschaftszeitung
Zugehörigkeit zeigte und festigte zudem der Bezug der Gewerkschaftszeitung, die als Informationsmedium zugleich symbolische Bindekraft entfaltete und damit immer wieder aufs Neue die Identität der Organisation bestätigte.
Fotos von Gewerkschaftsführern
Fotos von Gewerkschaftsführern, die sie manchmal im Kreis des ganzen Vorstandes einer Gewerkschaft oder auch zusammen mit anderen Mitgliedern z.B. mit der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion zeigten, wurden als Postkarte oder Plakat vertrieben. Schmuckblätter, wie sie von den Führern der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung angefertigt wurden, zeigen nur selten auch Gewerkschafter.
Gewerkschaftshäuser, Schulen und Gemeinwirtschaft
Jenseits ihrer Funktion als Bürogebäude und Versammlungsort können auch die Gewerkschaftshäuser als dingliche Symbole interpretiert werden: Mal im Stil der Jahrhundertwende, mal im Stil des Neuen Bauens der 1920er Jahre erbaut, demonstrierten die Gewerkschaften mit ihren Häusern im öffentlichen Raum zumeist der Innenstädte ihre bedeutende Position, auch ihre Dauerhaftigkeit und Aufgeschlossenheit für die Moderne.
Das gilt auch für die Gewerkschaftsschulen, die allerdings oftmals abseits der großen Städte den Anspruch der Gewerkschaften als Bildungsbewegung unterstrichen. Auch kann man die in den 1960er/70er Jahren entstandenen Siedlungen der Neuen Heimat und auch die Verwaltungsgebäude der Bank für Gemeinwirtschaft und der Volksfürsorge als Symbole der blühenden Gemeinwirtschaft und damit der gewerkschaftlichen Präsenz in der Öffentlichkeit deuten.
Festliche Veranstaltungen
Hinzu kamen Veranstaltungen des gewerkschaftlichen Festkalenders, der aber bei den Richtungsgewerkschaften durchaus unterschiedlich aussah: Während sich die Mitglieder der Christlichen Gewerkschaften weitgehend in den kirchlichen Festkalender eingliederten, also je nach Konfession die evangelischen oder katholischen Feiertage begingen, banden sich die Mitglieder der Freien Gewerkschaften in den Festkalender der Sozialdemokratie ein.
Der 1. Mai
Von besonderer Bedeutung für die sozialdemokratische Arbeiterbewegung war ab den 1890er Jahren der 1. Mai als Kampftag der internationalen Arbeiterbewegung. Zwar war in der Sozialdemokratie umstritten, ob dieser Feiertag wirklich durch Arbeitsniederlegung am 1. Mai oder durch gemeinsame Feiern am ersten Sonntag nach dem 1. Mai begangen werden sollte, ein zentraler Festtag war der 1. Mai auf jeden Fall. In Mai-Postkarten, Mai-Zeitungen und Mai-Plakaten wurde mit politisch aufgeladener Frühlingssymbolik der Aufbruch in eine Neue Zeit gefeiert, wurde die internationale Solidarität beschworen und vor dem Ersten Weltkrieg für die zentrale Forderung des 8-Stunden-Tages demonstriert. Für viele Arbeiter und Arbeiterinnen war der 1. Mai zudem der Tag eines gemeinsamen Familienausfluges.
Bald wurde der „1. Mai“ zudem politisch instrumentalisiert: So feierten die Nationalsozialisten den 1. Mai 1933 als „Feiertag der Nationalen Arbeit“ – einen Tag, bevor sie am 2. Mai 1933 die Gewerkschaften zerschlugen. In den folgenden Jahren, bis zum Beginn des Krieges, nutzten die Nationalsozialisten die Mai-Feier zur Selbstdarstellung des Regimes, das – angeblich – die „Arbeiter der Stirn und der Faust“ zusammengeführt habe.
Die Bedeutung des 1. Mai für das Zusammengehörigkeitsgefühl der sozialdemokratisch-sozialistischen Arbeiterbewegung illustrieren die Versuche, die Mai-Tradition auch in der Illegalität im Reich sowie im Exil fortzuführen.
In den 1950er/60er Jahren wurden die Veranstaltungen zum 1. Mai deutlich von der Systemkonkurrenz geprägt, deren Blöcke vor allem in Berlin direkt aufeinanderprallten: Während in West-Berlin Hunderttausende vor dem Rathaus Schöneberg oder vor dem Reichstagsgebäude für Freiheit und Demokratie demonstrierten, paradierten in Ost-Berlin endlose Kolonnen von „Werktätigen“ an den Tribünen der SED-Partei- und Staatsführung vorbei.
Daneben aber gab es auch zahlreiche Großkundgebungen, auf denen die Gewerkschaften für ihre jeweils aktuellen Forderungen eintraten. Auch wenn die Beteiligung inzwischen nachgelassen hat, werden die gewerkschaftlichen Kundgebungen am 1. Mai auch heute zur Vertretung gewerkschaftlicher Forderungen genutzt.
Bildergalerie: Plakate der Gewerkschaften zum 1. Mai
Festschriften
Gewerkschaften waren sich frühzeitig der eigenen Geschichtlichkeit bewusst. Das zeigen die zahlreichen Festschriften, mit denen etwa zum Jubiläum nach 25 oder auch 50 Jahren und mehr an Gründung und vor allem dauerhafte Entwicklung der Gewerkschaften erinnert wurde. In der jüngeren Vergangenheit haben große Gewerkschaften zum Teil groß angelegte historische Darstellungen zu ihrer eigenen Geschichte vorgelegt. Hierher gehören auch die Publikationen und Ausstellungen zur Erinnerung an bestimmte historische Ereignisse und Entwicklungen, so an dramatische Niederlagen wie die vom Frühjahr 1933.
Erinnerungskultur der Gewerkschaften
Schon seit ihren Anfängen sind die Gewerkschaften Gegenstand der wissenschaftlichen Forschung. In den 1960er/70er Jahren erlebt die Gewerkschaftsgeschichtsschreibung dann einen „Boom“. In enger Vernetzung der Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen an Universitäten und außeruniversitären Forschungseinrichtungen mit Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen der Gewerkschaften entstehen zahlreiche Untersuchungen zur Geschichte der Gewerkschaften. Historische Konferenzen des DGB (1979 und 1983) tragen dazu bei, das öffentliche Interesse an der Geschichte der Gewerkschaften zu beleben.
Nach einem Abebben des wissenschaftlichen Engagements in den 1980er Jahren ist seit einiger Zeit erneut ein gestiegenes Interesse an der Geschichte der Gewerkschaften zu beobachten. Das ist mit einer neuen Fragestellung verbunden: Der Umgang der Gewerkschaften mit ihrer eigenen Geschichte wird selbst zum Thema der Forschung. So legt die Kommission „Erinnerungskulturen der sozialen Demokratie“ gegen Ende der 2010er Jahre eine Reihe von Expertisen zur gewerkschaftlichen Erinnerungskultur vor (mehr dazu unter Forschung).