Quelle: akg
Arbeitslosigkeit bleibt hoch: Soziale Lage bessert sich nur langsam
Es geht aufwärts. Die Inflation ist gestoppt und die Wirtschaft nimmt langsam Fahrt auf. Doch gut geht es den Arbeiterfamilien noch lange nicht und die Arbeitslosigkeit bleibt trotz Aufschwung hoch. Immerhin: Die Weimarer Republik fördert den sozialen Wohnungsbau und baut das soziale Sicherungsnetz für Arbeiterinnen und Arbeiter aus.
Ein wichtiger Gradmesser für die soziale Lage der Arbeiterinnen und Arbeiter ist natürlich die Entwicklung der Reallöhne. Doch wie sich die Lebenshaltungskosten in diesen Jahren entwickelt haben – darüber streiten die Gelehrten. Der Grund: Es liegen keine eindeutigen Daten vor. Daher ist auch strittig, wann die Reallöhne wieder das Niveau der Vorkriegszeit erreicht haben.
Folgt man der Gewerkschaftspresse, dann liegen die Reallöhne erst 1928 wieder über dem Niveau von 1913/14 und steigen 1929 nochmals geringfügig an. Doch 1930, mit den ersten Anzeichen der heraufziehenden Wirtschaftskrise, müssen die Arbeiter und Arbeiterinnen erneut Reallohnverluste hinnehmen. Allerdings gibt es starke Differenzen – von Branche zu Branche, nach Qualifikation und nach Geschlecht.
Kritiker der Lohnpolitik dieser Jahre sagen, die hohen Löhne seien die Ursache für die schwere Wirtschaftskrise Anfang der 1930er Jahre gewesen. Verantwortlich dafür sei vor allem das staatliche Schlichtungssystem. Andere weisen darauf hin, dass höhere Einkommen Nachfrage schaffen und damit den Binnenmarkt stärken. Daher könne keine Rede davon sein, dass die Löhne die Krise verursacht haben – die überdies nicht in Deutschland, sondern in den USA ihren Anfang genommen habe.
Es ist in Schlagabtausch, wie er auch heute noch stattfinden könnte.
Hören: Toni Sender
Die Redaktionsleiterin der Betriebsräte-Zeitung des Deutschen Metallarbeiterverbandes spricht zur Reichstagswahl 1928 gegen Miet- und Preissteigerungen.
© SPD/FES
Dauerkonflikt: Arbeitszeit
Hart umkämpft wie die Lohnerhöhungen ist auch die Arbeitszeit. Sie liegt zu Beginn des I. Weltkrieges bei 50 bis 60 Stunden pro Woche. 1918 wird mit der Demobilmachungsverordnung für Arbeiter und Angestellte der Achtstundentag bzw. die 48-Stunden-Woche eingeführt. Mit der Unterzeichnung des Novemberabkommens stimmen wenig später auch die Arbeitgeber zu.
Doch kaum ist der revolutionäre Druck abgeflaut, setzen die Arbeitgeber alles daran, den Achtstundentag auszuhöhlen. Sie fordern, Mehrarbeit gesetzlich zu verankern – mit Erfolg. Die Arbeitszeitnotgesetze von 1923 und 1927 lassen die Überschreitung des Achtstundentages ausdrücklich zu. Die wöchentliche Arbeitszeit steigt daraufhin im Jahr 1925 auf 49,5 Stunden an. Erst ab 1926 sinkt sie wieder.
Arbeitslosigkeit bleibt hoch
Die Stabilisierung des Arbeitsmarktes nach dem Ende des Krieges ist nur von kurzer Dauer. Schon 1923 steigt die Zahl der Arbeitslosen wieder an von 4,1 Prozent auf 10 Prozent im Jahr 1926. Erst in der Stabilisierungsphase 1927/28 geht sie kurzfristig auf etwas über sechs Prozent zurück. Aber schon ein Jahr später klettert sie von 8,5 Prozent (1929) auf über 14 Prozent im Jahr 1930.
Sozialpolitik kostet Geld
Die Weimarer Republik investiert auch in die Sozialpolitik. Sie fördert den Wohnungsbau und baut die Sozialversicherung aus. Das kostet Geld. Insbesondere die neue Reichsanstalt für Arbeitslosenvermittlung und Arbeitslosenversicherung braucht immer wieder Zuschüsse, um ihren Zahlungsverpflichtungen nachzukommen.
In Zahlen liest sich das so: Die öffentlichen Ausgaben steigen von 6,8 Mrd. Mark im Jahr 1919 auf 13,7 Mrd. Mark im Jahr 1929. Damit verdoppelt sich der Anteil der Staatsausgaben für Sozialpolitik am Bruttosozialprodukt von 17,7 Prozent im Jahre 1913 auf 30,6 Prozent im Jahr 1929.
Die Bereitschaft des Staates zu sozial- und wirtschaftspolitischer Intervention, speziell der Anstieg der Sozialausgaben und der Ausbau der öffentlichen Unternehmen, gehört zu den umstrittensten innenpolitischen Fragen der 1920er/30er Jahre.