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Rede des Praesidenten des Vorlaeufigen Reichswirtschaftsrates (VRWiR), Friedrich von Braun, waehrend einer Tagung des Rates um 1920 / 1921

Weimarer Republik: Erste Erfolge in der Mitbestimmung

Kurz vor Ende des Ersten Weltkrieges – die Niederlage des Deutschen Reiches ist absehbar – beginnen Arbeitergeber und Gewerkschaften, über die Kooperation nach dem Krieg zu verhandeln.

Im Novemberabkommen 1918 verpflichten sie sich, eine „Zentralarbeitsgemeinschaft der gewerblichen Arbeitgeber und Arbeitnehmer“ (ZAG) zu gründen und fortan partnerschaftlich zusammenzuarbeiten. In der Weimarer Reichsverfassung wird in Artikel 165 die Einführung eines umfassenden Rätesystems angekündigt. Ausgehend vom Grundsatz, dass Arbeiter und Angestellten dazu berufen sind, „gleichberechtigt in Gemeinschaft mit den Unternehmern an der Regelung der Lohn- und Arbeitsbedingungen sowie an der gesamten wirtschaftlichen Entwicklung der produktiven Kräfte mitzuwirken“, sollen Betriebsarbeiterräte, nach Branchen gegliederte Bezirksarbeiterräte und ein Reichsarbeiterrat geschaffen werden. Damit sind die Forderungen der Freien Gewerkschaften, wie sie in den 1919 verabschiedeten „Richtlinien über die künftige Wirksamkeit der Gewerkschaften“ niedergelegt wurden, weitgehend erfüllt: „Das Mitbestimmungsrecht der Arbeiter muß bei der gesamten Produktion, von Einzelbetrieben beginnend bis in die höchsten Spitzen der zentralen Wirtschaftsorganisation, verwirklicht werden.“

Tatsächlich wird 1920 der (vorläufige) Reichswirtschaftsrat gebildet, in dem Arbeitgeber und Gewerkschaften vertreten sind. Doch der regionale Unterbau wird nicht realisiert. Dauerhaft umgesetzt wird „nur“ eine betriebliche Regelung: Nach heftigen Auseinandersetzungen wird 1920 das Betriebsrätegesetz verabschiedet. Und 1922 wird mit dem Gesetz über die Entsendung von Betriebsratsmitgliedern in die Aufsichtsräte der Kapitalgesellschaften die Unternehmensmitbestimmung auf den Weg gebracht. Diese Mitbestimmungsregelungen sind – zusammen mit der Sozialgesetzgebung – wichtige Bausteine des demokratischen Sozialstaats Weimarer Prägung.

Die Christlichen Gewerkschaften sehen das Betriebsrätegesetz als einen Schritt auf dem Weg zur „Standwerdung der Arbeiterschaft“ durch Mitbesitz und Mitbestimmung. Für die Freien Gewerkschaften ist das Betriebsrätegesetz Vorstufe einer breit angelegten Strategie zur Demokratisierung der Wirtschaft. Das 1928 verabschiedete Wirtschaftsdemokratie-Programm des ADGB geht daher sehr viel weiter: Es hebt ab auf die Demokratisierung der überbetrieblichen Wirtschaftsführung, auf die Demokratisierung der Arbeitsverhältnisse und auf die Demokratisierung der Bildung.

Beide Konzepte – die Pläne der Christlichen Gewerkschaften wie das Wirtschaftsdemokratie-Programm der Freien Gewerkschaften – werden in der Weimarer Republik nicht verwirklicht. Sie stoßen auf die strikte Ablehnung der organisierten Arbeitgeber, die jede weitere Ausdehnung von Mitspracherechten als Beitrag zur Zerstörung der deutschen Wirtschaft zurückwiesen. Die Weltwirtschaftskrise rückt dann ganz andere Themen in den Vordergrund, die Frage des „Umbaus der Wirtschaft“ spielt keine Rolle mehr.

Werner Milert u. Rudolf Tschirbs, Die andere Demokratie. Betriebliche Interessenvertretung in Deutschland, 1848 bis 2008, Essen 2012

Beule, Peter (Hrsg. für die Friedrich-Ebert-Stiftung), Smart Work!? Mitbestimmung im digitalen Zeitalter, Bonn 2020 (Online verfügbar)

Andresen, Knud, Triumpherzählungen. Wie Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter über ihre Erinnerungen sprechen, Essen 2014

Däubler, Wolfgang u. Michael Kittner, Michael, Geschichte der Betriebsverfassung, Frankfurt am Main 2020

Milert, Werner u. Rudolf Tschirbs, Vom Wert der Mitbestimmung. Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945, Düsseldorf 2016

Milert, Werner u. Rudolf Tschirbs, Die andere Demokratie. Betriebliche Interessenvertretung in Deutschland 1848 bis 2008, Essen 2012

Quelle der Zeittafel:
Internetseite der Hans-Böckler-Stiftung  mit umfassenden Themen zur Mitbestimmung heute und gestern