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Kommissionssitzung am 13./14. Februar 2020: Wessen Geschichte zählt? Erinnerungskulturen der Gewerkschaften und der Einwanderungsgesellschaft fehlen migrantische Perspektiven
In ihrer siebten Sitzung am 13. und 14. Februar 2020 diskutierte die Kommission „Erinnerungskulturen der sozialen Demokratie“ das Thema Migration. Nähme man migrantische Perspektiven ernst, so ein Ergebnis, würden die Grenzen vieler Erfolgsgeschichten sichtbar werden.
Doch zunächst präsentierte Jürgen Schmidt seine ursprünglich zum Sitzungsthema „Gewerkschaften“ angedachten Überlegungen zur Erinnerungsgeschichte des ersten Dachverbandes der deutschen Gewerkschaften, der sozialdemokratischen Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands. Er betonte dabei, dass die Generalkommission von Anfang an eine umkämpfte Institution der Gewerkschaften gewesen sei. Da die Einzelgewerkschaften lange ihre Existenzberechtigung in Frage gestellt hatten, sei auch der Erinnerung an den Dachverband kein großer Stellenwert beigemessen worden. Die vorbehaltlose Zustimmung zur Burgfriedenspolitik im Ersten Weltkrieg habe die Erinnerung zudem verkompliziert, sodass eher die schillernde Persönlichkeit Carl Legiens Aufmerksamkeit gefunden habe.
Zum Sitzungsschwerpunkt „Migration“ präsentierte Maria Alexopoulou Überlegungen zur Erinnerungskultur in der Einwanderungsgesellschaft und Simon Goeke zum Erinnern an Migration in Gewerkschaften. Aus einer rassismuskritischen Perspektive beleuchtete Alexopoulou den „Kampf der Narrative“ in diesem Feld. Unter anderem zeigte sie am Beispiel der Sonderausstellung „Immer bunter. Einwanderungsland Deutschland“, die zwischen 2014 und 2016 als Wanderausstellung prominent in den zentralen Museen deutscher Geschichte gezeigt wurde, wie der Fokus des Erinnerns an Migration häufig auf ein essentialistisches Kulturverständnis und Nützlichkeitserwägungen beschränkt blieb. Zudem ergänzte sie einige Ausführungen zum Konzept des Rassismus, indem sie an den Umgang mit Displaced Persons nach 1945 erinnerte und zeigte, dass von einer Stunde Null in der Rassismusgeschichte keine Rede sein könne. Ausgehend von den häufig übersehenen Verflechtungen der deutschen Migrations-, Rassismus- und Demokratiegeschichte empfahl sie für die Erinnerungskultur sozialer Demokratie, den Konnex von Migration und Demokratie stärker in den Blick zu nehmen.
Goeke fokussierte sich auf die Klischees und Legenden in der gewerkschaftlichen Erinnerung an den Beginn der Arbeitsmigration nach Westdeutschland in den 1950er-Jahren. So machte er deutlich, dass die Gewerkschaften sich in den 1950er- und 1960er-Jahren gegen Arbeitsmigration ausgesprochen hatten, dies jedoch bereits in den 1970er-Jahren anders erinnerten. Er empfahl, die Ambivalenzen der Geschichte von Gewerkschaften und Migration nicht auszusparen. Auf lange Sicht, so Goeke, könnten auch außerhalb der oder sogar gegen die Gewerkschaften geführte Kämpfe migrantischer Arbeiter_innen in der Bundesrepublik als Teil einer Erfolgsgeschichte der gesamten Arbeiter_innenbewegung erinnert werden. Beispielsweise zog er eine Verbindung von den „wilden Streiks“ 1973 zur von der IG Metall im selben Jahr tariflich vereinbarten „Steinkühler-Pause“.
Wolfgang Jäger/Ulf Teichmann
Weiterführende Links
Jürgen Schmidt beim Institut für die Geschichte und Zukunft der Arbeit
Maria Alexopoulou bei der Universität Mannheim
Zum Weiterlesen
Arbeitspapiere zur Sitzung
Maria Alexopoulou: Welche Erinnerungskultur braucht die Einwanderungsgesellschaft?
zum Thema
Wenn soziale Demokratie sich über die Gewährung sozialer Rechte definiert, ist die Frage, wem diese sozialen Rechte zustehen, zentral für ihren Charakter. Im Zeitalter der Nationalstaaten wurde und wird diese Frage durch Migration kontinuierlich aufgeworfen. Migration war auch stets auf verschiedene Weise Teil der Geschichte der Akteur_innen sozialer Demokratie.
Für die Erinnerungsgeschichte ergeben sich daraus verschiedene Perspektiven:
Die Organisationsperspektive: Welche Bedeutung haben Migration und der Umgang mit dieser in den Erinnerungen von Gewerkschaften und anderen kollektiven Akteuren? Welche Rolle spielen migrantische Perspektiven in diesen Erinnerungen? Welche Gewerkschafter_innen mit Migrationsgeschichte wurden Teil des kollektiven Gedächtnisses ihrer Organisationen? Lassen sich Unterschiede feststellen in der Erinnerung an verschiedene Phasen der Migration und ihre Bedeutung für die Arbeiterbewegung? Welchen Einfluss haben Erinnerungen darauf, dass Gewerkschaften und andere Akteur_innen sozialer Demokratie von Beginn an Erfahrungen mit dem politischen Exil als besonderer Form der Migration machen mussten?
Die migrantische Perspektive: Gab und gibt es unter Erinnerungsträger_innen mit Migrationsgeschichte eine andere kollektive Erinnerung an das Verhältnis von Arbeiterbewegung und Migration als in den Organisationen? Gibt es migrantische Erinnerungsorte der sozialen Demokratie und der Arbeitswelt?