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Gewerkschafter in Ost und West: Zupacken für den Wiederaufbau
Arbeitslosigkeit, Wohnungsnot und Hunger – das Elend der Arbeiterfamilien in den ersten Jahren nach dem Krieg ist groß. Von Anfang an tun Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter sowie Betriebsräte in den Westzonen alles, um diese Not zu lindern. Sie helfen mit, die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln, Kleidung, Heizmaterial und Wohnraum zu organisieren. Sie setzen Betriebe wieder in Gang, deren Eigentümer wegen ihre Tätigkeit als „Wirtschaftsführer” im nationalsozialistischen Staat untergetaucht oder interniert sind. Sie leiten die Aufräumungsarbeiten, organisieren die Instandsetzung und sorgen für Rohstoffe und Aufträge.
Und sie stehen in der vordersten Reihe, wenn es darum geht, Arbeitsplätze zu erhalten und die Demontage von Betrieben zu verhindern. Der erste Industrieplan des Alliierten Kontrollrats vom März 1946 sieht vor, die deutsche Industrieproduktion auf 55 Prozent des Standes von 1938 zu begrenzen. 1.800 Betriebe sollen demontiert werden. Nach zähen Verhandlungen, in denen sich die Gewerkschaften – zusammen mit den Eigentümern – gegen die Demontagepolitik aussprechen, wird die Zahl der zur Demontage vorgesehenen Betriebe auf 682 gesenkt. Ein großer Erfolg.
Auch die 1945/46 von den Alliierten herausgegebenen Direktiven zu den künftigen Arbeitsmarktbeziehungen sind aus Sicht der Gewerkschaften positiv: Wiederhergestellt werden die Koalitionsfreiheit, die Arbeitsgerichtsbarkeit, das Schlichtungswesen, das Betriebsrätegesetz und der Achtstundentag als Regelarbeitszeit.
Die bittere Pille: Die Löhne werden von den Alliierten auf dem Niveau vom 8. Mai 1945 eingefroren. Das ist nicht nur angesichts des Elends vieler Arbeiter und Arbeiterinnen eine Enttäuschung. Es hat auch zur Folge, dass die Lohnverhandlungen auf die politische Ebene verlagert werden. Ansprechpartner für Lohnfragen sind nicht mehr die Arbeitgeber, sondern die Besatzungsmacht und bald auch deutsche Regierungsstellen und Behörden.
Unmut macht sich breit
Die schlechte Versorgungslage und die schleppende Verwirklichung zentraler Forderungen nach einer Neuordnung der Wirtschaft führen im April/ Mai 1947 vor allem im Ruhrgebiet zu Demonstrationen und Streikaktionen. Arbeiter und Arbeiterinnen kämpfen für eine von den Gewerkschaften kontrollierte „gerechte Erfassung und Verteilung der vorhandenen Lebensmittel”, für „Hofkontrollen”, für schärfste Bestrafung von Schwarzhändlern und Schiebern und für die Sozialisierung speziell des Bergbaus.
Nicht nur die Militärverwaltung, sondern auch die Gewerkschaften wenden sich gegen diese Protestaktionen. So sieht die Konferenz der Gewerkschaften der amerikanischen Zone am 10. April 1947 „in der Durchführung von Streiks kein geeignetes Mittel zur Verbesserung der derzeitigen Ernährungslage”. Auch den Streiks im Winter und Frühjahr 1948 versagen sie ihre Unterstützung. Immerhin: Der Alliierten Kontrollrat beschließt eine einmalige Lohnerhöhung von 15 Prozent, um den Streikenden den Wind aus den Segeln nehmen.
Dennoch: Der wachsende Unmut unter den Arbeitern, das Scheitern der Sozialisierungspläne und die Enttäuschung über die Folgen der Währungsreform, zeigen Wirkung. Die Gewerkschaften schlagen einen neuen Kurs ein. Sie fordern, zusammen mit der SPD, einen Lastenausgleich zu Gunsten der Arbeitnehmer. Ohne Erfolg. Aus Verbitterung darüber bereitet der Gewerkschaftsrat der Bizone im Oktober 1948 einen Generalstreik vor. Doch der Einspruch der Militärgouverneure und innergewerkschaftliche Uneinigkeit führen dazu, dass es am 12. November 1948 nur zu einem 24-stündigen Demonstrationsstreik in der amerikanischen und britischen Zone kommt. In der französischen Zone herrscht Streikverbot.
Die Gewerkschaften wollen, dass sich die wirtschaftlichen Verhältnisse stabilisieren. So stimmen sie im Frühsommer 1948 dem European Recovery Program bzw. dem Marshallplan zu. Dass zwischen der amerikanischen Wirtschaftshilfe und der Stabilisierung der privatkapitalistischen Ordnung ein enger Zusammenhang besteht, wird von den Gewerkschaften offenbar unterschätzt – oder hingenommen. Sowohl die Herausbildung einer westzonalen Wirtschaftseinheit als auch Währungsreform und Marshallplan werden ohne gewerkschaftliche Beteiligung geregelt. Die Gewerkschaften protestieren gegen die Berliner Blockade der sowjetischen Besatzungsmacht und stemmen sich der Teilung Deutschlands entgegen, können aber das Auseinanderdriften der Blöcke nicht verhindern.
Die Gewerkschaften wollen aber auch eine grundsätzliche Neuordnung der Wirtschaft. Es geht ihnen um Entnazifizierung von Staat und Wirtschaft, Überführung der Schlüsselindustrien in Gemeineigentum, Mitbestimmung und Wirtschaftsplanung. Dass dieser Forderungskatalog keinen Sprengstoff für die sich gerade bildenden Einheitsgewerkschaften birgt, liegt auch daran, dass derartige Ziele von den meisten großen politischen Gruppierungen – von SPD und KPD, aber auch von Teilen der CDU – vertreten werden. Viele Gewerkschafter und Gewerkschafterinnen glauben 1945/46 im Grunde, für ihre weit gesteckten Ziele bräuchten sie nicht mehr zu kämpfen – man brauche sie nur noch in gesetzliche Form zu bringen, um sie dann von den Parlamenten verabschieden zu lassen.
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Protest und Streik gegen die Demontage der Industriebetriebe: Szenen aus dem DGB-Film "Bewegte Zeiten".
© DGB
Die Lehre aus der Vergangenheit scheint klar zu sein: Auf der 1. Gewerkschaftskonferenz der britischen Zone im März 1946 erklärt Hans Böckler: „Wir müssen in der Wirtschaft selber als völlig gleichberechtigt vertreten sein, nicht nur in einzelnen Organen der Wirtschaft, nicht in den Kammern der Wirtschaft allein, sondern in der gesamten Wirtschaft. Also der Gedanke ist der: Vertretung in den Vorständen und Aufsichtsräten der Gesellschaften.” Sicherlich knüpft die gewerkschaftliche Forderung nach Demokratisierung der Wirtschaft an die Vorstellungen aus der Weimarer Zeit an, doch neben dem Ziel einer überbetrieblichen gesamtwirtschaftlichen Mitbestimmungsregelung tritt ab 1947/48 die Idee der Mitbestimmung auf Unternehmensebene in den Vordergrund. Die gesetzliche Einführung der Mitbestimmung gilt als Sofortmaßnahme, da man davon ausgeht, die eigentlich angestrebte Sozialisierung direkt nach dem Kriege nicht durchsetzen zu können.
Die Chance zur Verankerung von Mitbestimmungsrechten kommt mit den ersten konkreten Entflechtungsmaßnahmen der britischen Militärregierung. Die Gewerkschaften glauben, mit der Einführung der paritätischen Mitbestimmung in der Eisen- und Stahlindustrie zum 1. März 1947 einen ersten Schritt zur Demokratisierung der Wirtschaft erreicht zu haben. Sie übersehen allerdings, dass die Angebote zur paritätischen Mitbestimmung, die die Arbeitgeber Anfang 1947 unterbreiten, auch und vor allem dazu dienen, die Gewerkschaften als Verbündete gegen die alliierten Demontage- und Entflechtungspläne zu gewinnen. Außerdem sollen die Zugeständnisse in der Mitbestimmungsfrage die Unruhe in der Arbeiterschaft abfangen und damit zugleich die Sozialisierungsforderung versanden lassen.
Eine Zeit lang sieht es in der Tat so aus, als könnten zum Beispiel die Sozialisierungsforderungen realisiert werden. In mehreren Länderverfassungen wird 1946/47 die Möglichkeit von Enteignungen zu Gunsten der Allgemeinheit verankert. Doch sehr rasch zeigt sich, dass die Gewerkschaften nicht den erwarteten Rückhalt bei politischen Parteien und vor allem nicht bei den Besatzungsmächten haben. So wird z. B. das vom nordrhein-westfälischen Landtag in Ausführung des Sozialisierungsartikels der Landesverfassung verabschiedete Gesetz zur Überführung des Bergbaus in Gemeineigentum von den Militärgouverneuren der Bizone im September 1948 suspendiert. Die Sozialisierung sei, so meinen die Besatzungsmächte (und auch ein großer Teil der deutschen Politiker), eine Frage des Bundesrechts, die erst nach Gründung eines westdeutschen Staates geregelt werden dürfe.
Bald schon – spätestens mit dem Einsetzen der Marshallplan-Hilfe – ist die Phase starken sozialen Reformdrucks beendet. Die Vorbehalte gegen kommunistische Experimente und gegen jede Form von zwangswirtschaftlichem Dirigismus werden durch die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Neuordnungsmaßnahmen in der sowjetischen Besatzungszone verstärkt. Außerdem erfahren sie mit dem wirtschaftlichen Aufschwung nach der Währungsreform, der als Erfolg der marktwirtschaftlichen Ordnung gilt, eine nachhaltige Bestätigung.
Zudem steht den Gewerkschaften sehr rasch wieder ein ausgebautes System der wirtschaftlichen Interessenvertretung gegenüber: Bereits 1945/46 nehmen die Industrie- und Handelskammern ihre Arbeit wieder auf und gründen im Oktober 1949 als ihre Dachorganisation den Deutschen Industrie- und Handelstag (DIHT). Auch die branchenspezifischen Arbeitgeberverbände sowie die industriellen Interessenverbände werden 1945/46 in rascher Folge wiedergegründet. Sie schließen sich 1950 zur Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) bzw. zum Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) zusammen.
Auch die Beratungen über das Grundgesetz sind vom politischen „Zeitgeist” Ende der 1940er Jahre geprägt. Im Dezember 1947 bilden die westdeutschen Länderparlamente einen Parlamentarischen Rat, der die Verfassung ausarbeiten soll. Wesentliche Grundsatzentscheidungen trifft indessen bereits der im Juni 1947 eingerichtete Frankfurter Wirtschaftsrat der Bizone, der mit der CDU-Mehrheit das von Ludwig Erhard propagierte Konzept der „sozialen Marktwirtschaft” mit wirtschafts- und finanzpolitischen Maßnahmen zementiert. Sozialdemokratische Partei und Gewerkschaften unterschätzen nicht nur den Einfluss des Wirtschaftsrates als „Quasi-Parlament”, sondern auch die Bedeutung der Verfassungsberatungen. Mehrfach stellen sie ihre Forderungen im Sozialbereich und ihre Neuordnungsvorstellungen zurück, weil sie meinen, das Grundgesetz habe nur einen provisorischen Charakter.
Von daher bleibt den ohnehin begrenzten gewerkschaftlichen Verfassungsvorstellungen eine nachdrückliche Vertretung versagt. Die 38-Punkte-Erklärung „Zur Verfassungsfrage”, die zunächst die Forderungen des DGB der britischen Zone für die nordrhein-westfälische Landesverfassung bündelt, ist zugleich die Grundlage für die Stellungnahme der Gewerkschaften zu den Grundgesetz-Beratungen. Zu diesem Forderungskatalog zählen u. a. die Verankerung des Rechts auf Arbeit, des Koalitions- und Streikrechts, der Überführung der Grundstoffindustrien in Gemeineigentum sowie der Garantie eines Mindestlohnes. Eine Mobilisierung der Arbeitnehmerschaft, um diesen Zielen Nachdruck zu verleihen, scheint schon deswegen nicht nötig zu sein, weil Gewerkschaften und SPD bei den bevorstehenden Bundestagswahlen einen Sieg der SPD erwarten.
Wieder einmal erweisen sich die Erwartungen der Gewerkschaften – sogar in zweifacher Hinsicht – als Illusion. Zum einen: Das Grundgesetz, das am 8. Mai 1949 vom Parlamentarischen Rat verabschiedet wird, ist keineswegs ein kurzlebiges Provisorium. Es schreibt vielmehr grundsätzliche Regelungen fest, die den Rahmen der Gewerkschaftsarbeit auf Dauer abstecken. So heißt es in Artikel 9,3: „Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet.” Für die gewerkschaftliche Arbeit von besonderer Bedeutung sind – einmal abgesehen von dem Grundrechtsbestand insgesamt – darüber hinaus die Sozialpflichtigkeit des Eigentums (Art. 14,2), die Zulässigkeit der Enteignung zum Wohle der Allgemeinheit (Art. 14,3 und 15) und die Bestimmung der Bundesrepublik im Sinne eines demokratischen und sozialen Rechts- bzw. Bundesstaates (Art. 20,1 und 28,1).
Zum anderen: Die Christdemokraten gewinnen die Bundestagswahl. Die SPD geht in die Opposition.
Völlig anders als in den westlichen Besatzungszonen sehen die Voraussetzungen der gewerkschaftlichen Arbeit in der Sowjetischen Besatzungszone aus: Zum einen werden binnen kurzer Zeit große Teile der Industrie enteignet und in Volkseigene Betriebe überführt. Zum anderen wird der FDGB durch Reglementierungen und politische Vorgaben in das neue Wirtschafts- und Gesellschaftssystem eingebunden, so dass er sich nicht zu einer unabhängigen Interessenvertretung der Arbeitnehmer entwickelt. Dank der kommunistischen Dominanz in den Führungsgremien ordnet sich der FDGB nach kurzer Zeit bereitwillig der SED unter, die ihrerseits mit der Sowjetischen Militäradministration kooperiert. Die FDGB-Führung geht davon aus, dass es eine Übereinstimmung zwischen den Interessen der Arbeitnehmer und denen der in Volkseigentum überführten Unternehmen und damit des Staates gebe. Alle – also Arbeitnehmer und Unternehmen – hätten ein gemeinsames Interesse an der Steigerung der Produktion. Gewerkschaftliche Aktivitäten, die dieses Ziel gefährden, seien zu unterlassen. Auch Streiks seien „überholt“, seien diese doch in einer „volkseigenen“ Wirtschaft gegen die Interessen der Arbeitnehmer gerichtet.
Damit sind dem FDGB „klassische“ Aktionsfelder gewerkschaftlicher Arbeit verstellt: Lohn- und Arbeitszeitbedingungen werden von der Sowjetischen Militäradministration bzw. von deren deutschen Statthaltern bestimmt. Der FDGB kann sich freilich für das Prinzip des „gleichen Lohns für gleiche Arbeit“ für Männer und Frauen einsetzen, zumal er sich mit dieser Forderung in Übereinstimmung mit den Vorgaben der Militäradministration weiß. Zu Konflikten mit Besatzungsmacht und/oder SED-Führung würde es führen, wenn sich der FDGB stärker für die Verbesserung der Versorgungslage engagierte, die bis Anfang der 1950er Jahre immer wieder von Engpässen und Notlagen gekennzeichnet ist. Zu Gewerkschaftsaktionen auf diesem Feld ist die FDGB-Führung weder in der Lage noch bereit.
Wohl aber setzt sie sich dafür ein, dass sich die Betriebe für die Lösung drängender Versorgungsprobleme engagieren. Frühzeitig werden vor allem Kantinen, Kindertagesstätten und auch betriebliche Kliniken wieder ins Leben gerufen bzw. aufgebaut. Zudem engagiert sich der FDGB in den im November 1947 eingerichteten Volkskontrollauschüssen, die die Einhaltung von Versorgungs- und Produktionsplänen überwachen und Schwarzmarkt und Schleichhandel bekämpfen sollen. Zu Konflikten führen würde eine grundsätzliche Kritik an Demontagen und Reparationen aus der laufenden Produktion. Zwar protestieren örtliche oder betriebliche Gewerkschaftsgremien gegen das Ausmaß, nicht aber gegen die Tatsache der Demontagen. Doch der FDGB-Vorstand hält sich mit öffentlichen Stellungnahmen zurück.
Von Anfang an drängt der FDGB darauf, in den Selbstverwaltungsorganen der Versicherungen, also der Kranken-, Unfall- Alters- und Invalidenversicherung der Arbeiter und der Angestellten sowie der Arbeitslosenversicherung, eine dominierende Position zu erhalten. Und frühzeitig plädiert er für einen Funktionswandel der Sozialversicherung von einem Schutz- zu einem Produktionsfaktor: In der Entschließung „Soziale Forderungen des FDGB“ des 2. FDGB-Kongresses 1947 wird die Sozialversicherung der Produktionssteigerung nachgeordnet: „Die sozialpolitischen Probleme der Gegenwart gipfeln daher in der Aufgabe, die wertschaffenden Kräfte im Wirtschaftsprozess durch Sicherung und Versicherung so planvoll zu verwenden, dass ihr Leistungsvermögen so lange wie möglich erhalten bleibt.“ Zwar bleibt es dem FDGB zunächst versagt, die Leitung der im Aufbau befindlichen zonalen Zentralstelle der Sozialversicherungen zu erhalten. Doch er bestimmt bei der Auswahl der Mitglieder des Zentralvorstandes mit. 1956 erfolgt dann die Übernahme der Sozialversicherung durch den FDGB.
Der 2. FDGB-Kongress 1947 steht unter dem Motto: „Mehr produzieren – gerecht verteilen – besser leben“. Der FDGB übernimmt die Aufgabe, die Arbeitnehmer zu hoher Leistungsbereitschaft zu motivieren. Diesem Ziel dient auch das von den Gewerkschaften mitgetragene Lohnsystem, das deutliche Lohnunterschiede vorsieht, die sich leistungsfördernd auswirken sollen. Gefördert werden Akkordlohnsysteme, die als Leistungslohn bezeichnet werden. Diese Grundlinie der gewerkschaftlichen Politik passt sich in die wirtschafts- und arbeitsmarktpolitischen Vorstellungen der Besatzungsmacht ein, die im Oktober 1947 mit Befehl Nr. 234 die Steigerung der Arbeitsproduktivität, den Kampf gegen „Bummelantentum“ und den Ausbau der Stück- und Akkordlohnsysteme anordnet. Als soziale Verbesserungen werden angekündigt: Je nach der Schwere der Arbeit ist eine Staffelung des Jahresurlaubs zwischen 12 und 24 Arbeitstagen vorgesehen. Außerdem werden in einzelnen Industriezweigen Betriebsmahlzeiten eingeführt, freilich nur in Betrieben, die die Planvorgaben erfüllen. Ergänzt werden die Ankündigungen durch Hinweise für neue Betriebsordnungen, in denen z.B. Arbeitsdisziplin sowie Arbeitsbereitschaft auch an Sonn- und Feiertagen eingefordert werden. „Bummelanten“, also alle diejenigen, die die vorgegebenen Leistungsnormen nicht erfüllen, können vom Betriebsessen ausgeschlossen werden.
Der FDGB übernimmt diese Anforderungen und wird zum Sprachrohr der Militärverwaltung. In seinem Aufruf vom 13. Oktober 1947 begrüßt er die in „Aufbauplan 234 enthaltenen Maßnahmen zur Steigerung der Arbeitsproduktivität und zur weiteren Verbesserung der materiellen Lage der Arbeiter und Angestellten in der Industrie und im Verkehrswesen.“ Damit werde den Arbeitern und Angestellten „die Möglichkeit gegeben, unter voller Entfaltung ihrer eigenen Initiative durch Steigerung der Arbeitsproduktivität auch ihre Lebenslage zu verbessern.“ Dabei gilt die „Hebung der Arbeitsproduktivität“ als „die wichtigste Aufgabe“, für die sich auch die Betriebsgewerkschaftsleitungen einsetzen.
Teile der FDGB-Propaganda sind die Ende der 1940er Jahre geschaffene Aktivistenbewegung und die Sozialistische Wettbewerbsbewegung. Ergänzt werden diese Maßnahmen im Oktober 1948 durch die Herausstellung einer Einzelleistung: So wie 1935 in der UdSSR mit dem Bergmann Alexej Stachanow wird in der sowjetischen Besatzungszone mit Adolf Hennecke, der als Bergmann mit 387 Prozent die Leistungsnorm weit übererfüllt hat, ein Vorbild propagiert, um eine Bewegung von Aktivisten, „Hennecke-Aktivisten“ genannt, ins Leben zu rufen.
Dass sich aus den Erfolgen dieser Leistungskampagne eine Erhöhung der allgemeinen Arbeitsnormen ergibt, führt bald zu Unzufriedenheit, ja Verbitterung. Nicht alle Arbeitnehmer akzeptieren die Gleichsetzung von Partei-, Gewerkschafts- und Arbeitnehmerinteresse. Dass der FDGB sich zum Wortführer der Kampagnen zur Mobilisierung aller Leistungsreserven macht, trägt dazu bei, sein „Image“ in den Augen breiter Kreise der Arbeitnehmerschaft zu verdunkeln. „Akkord ist Mord“ und die Drohung, „in den Westen“ zu gehen, schlagen mancherorts den FDGB-Funktionären entgegen, die sich für die Aktivistenkampagne stark machen.
Bispinck, Reinhard (Hrsg.: WSI, Tarifarchiv), 70 Jahre Tarifvertragsgesetz. Stationen der Tarifpolitik von 1949 bis 2019, Düsseldorf, April 2019 (Online verfügbar)
Däubler, Wolfgang u. Michael Kittner, Michael, Geschichte der Betriebsverfassung, Frankfurt am Main 2020
Milert, Werner u. Rudolf Tschirbs, Die andere Demokratie. Betriebliche Interessenvertretung in Deutschland 1848 bis 2008, Essen 2012