zurück
Ein Bild von einem Schild mit einem Schriftzug: Hass ist keine Meinung

Wachsende Problemwahrnehmung: Kampf gegen Ausländerfeindlichkeit

Erst Anfang der 1990er Jahre, aufgeschreckt durch Mordanschläge in Rostock-Lichtenhagen, Hoyerswerda, Mölln und Solingen sowie durch Überfälle von Skinheads auf Ausländer, erhält die Entwicklung von Fremdenfeindlichkeit und Rassismus eine breitere Aufmerksamkeit.

Die Antwort der Gewerkschaften ist eindeutig: In Seminaren und Konferenzen analysieren die Gewerkschaften die Ursachen von Rechtsextremismus bzw. Ausländerfeindlichkeit. Sie organisieren Gedenk-Veranstaltungen und -Reisen, mit denen an die nationalsozialistischen Verbrechen erinnert wird. Sie führen Aufklärungskampagnen – am bekanntesten „Mach’ meinen Kumpel nicht an!” und „Hass macht dumm”– durch. Und sie gehören zu den Organisatoren der Lichterketten, Demonstrationen und Konzerte gegen die anwachsende Ausländerfeindlichkeit. Auch in den folgenden Jahren demonstrieren Gewerkschaften zusammen mit anderen Institutionen und Verbänden, auch mit Angehörigen Neuer sozialer Bewegungen, für ein rechtsstaatlich abgesichertes und humanes Asylverfahren. Damit wenden sie sich gegen alle Versuche, das individuelle Asylrecht auszuhöhlen.

Die stetige kritische Auseinandersetzung mit allen Formen der Fremdenfeindlichkeit, des Rassismus und des Nationalismus bleibt weiterhin auf der Tagesordnung – auch in Bündnissen mit Sozial- und Kulturverbänden sowie den großen Kirchen. So beteiligen sich die Gewerkschaften an Bündnissen wie an der „Allianz für Weltoffenheit, Solidarität, Demokratie und Rechtsstaat – gegen Intoleranz, Menschenfeindlichkeit und Gewalt“. Ins Zentrum der gewerkschaftlichen Aufklärungsarbeit rückt seit 2016/17 die Widerlegung von Thesen der Alternative für Deutschland (AfD). Der DGB und seine Einzelgewerkschaften, z.B. die IG BAU und die IG Metall, halten weiterhin ausdrücklich daran fest, „Klare Kante gegen rechts“ bzw. „Klare Kante und offene Tür“ zu zeigen. Rechte Propaganda wird wegen ihrer unverhüllten Abwertung von Menschen ausländischer Herkunft als menschenfeindliche Ideologie gebrandmarkt. Das zeigt sich auch bei der Kundgebung unter dem Titel „#unteilbar“, die im Oktober 2018 mit rund 240.000 Teilnehmern und Teilnehmerinnen in Berlin stattfindet.

Wissenschaftliche Untersuchungen, ob derartige Stellungnahmen von der Gewerkschaftsmitgliedschaft wirklich mit überwältigender Mehrheit geteilt werden, deuten auf Probleme hin. Bereits 1998 fordert der DGB-Bundeskongress die Einsetzung einer „Kommission Rechtsextremismus“. Der im Mai 2000 vorgelegte Schlussbericht zeigt, dass sich auch in der Gewerkschaftsmitgliedschaft nationalistische und fremdenfeindliche Vorurteile finden lassen. Und Meinungsumfragen vom Sommer 2023 ergeben, dass etwa 20 % der Gewerkschaftsmitglieder mit der Politik der AfD sympathisieren. Die politischen Anschauungen der Gewerkschaftsmitglieder spiegeln offenbar die des Durchschnitts der Gesamtbevölkerung.

DGB-Positionen zur Migration-und-Antirassismuspolitik vom 28.5.2022

Der Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 hat schwerwiegende Folgen auch für die politische Kultur in Deutschland: Antisemitismus und Israel-Feindschaft zeigen sich mit einer bislang in der Nachkriegszeit nicht gekannten Radikalität. Zwar bekunden die meisten Menschen, in Übereinstimmung mit den Stellungnahmen führender Politikerinnen und Politiker, ihre Solidarität mit Israel. Doch nicht wenige Palästinenserinnen und Palästinenser sowie deren Sympathisanten versammeln sich zu Straßendemonstrationen und fordern nicht nur „Freiheit für Palästina“ und „Solidarität mit den Menschen im Gazastreifen“, sondern manche begrüßen ausdrücklich den Angriff der Hamas auf Israel. Die Zahl antisemitischer Angriffe nimmt zu. Die Gewerkschaften weisen alle antisemitischen Äußerungen und Gewalttaten unter dem Slogan „Nie wieder ist jetzt!“ zurück. Der DGB und die Einzelgewerkschaften stellen sich in Presseerklärungen, Reden und Kundgebungen an die Seite Israels. Sie verurteilen den Angriff der Hamas und fordern die sofortige Freilassung der Geiseln. Zudem plädieren sie für humanitäre Hilfen für die vom Krieg getroffenen Menschen im Gaza-Streifen. Und sie mahnen die Regierung Israels, auf das Massaker der Hamas nicht mit einem unverhältnismäßigen Einsatz von Gewalt zu reagieren.

Alexopoulou, Maria, Deutschland und die Migration. Geschichte einer Einwanderungsgesellschaft wider Willen, Stuttgart 2020

Biegner, Kathrin (Hrsg.: Deutscher Gewerkschaftsbund, Bezirk Nordrhein-Westfalen, Argumente gegen Rechtspopulisten. AfD im Fokus, 2. Aufl., Düsseldorf, September 2016 (Online verfügbar)

Berlinghoff, Marcel, Das Ende der „Gastarbeit“. Europäische Anwerbestopps 1970-1974, Paderborn 2013

Bose, Sophie, Gewerkschaften und Rechtspopulismus in Europa. Länderstudie Deutschland, hrsg. von der Internationalen Abteilung der Friedrich-Ebert-Stiftung, Januar 2023

Bröskamp, B., Vom Auswanderungs- zum Einwanderungsland: die DDR, ihre Ausländer, die deutsche Wiedervereinigung und die Folgen. In B. Bröskamp, A. Farah u. E. Engelhardt (Hrsg.), Schwarz-Weiße Zeiten: AusländerInnen in Ostdeutschland vor und nach der Wende. Erfahrungen der Vertragsarbeiter aus Mosambik. Interviews - Berichte – Analysen, Bremen 1993, S. 13-34 (Online verfügbar)

Carstensen, Anne, Sabine Hess, Lisa Riedner u. Helen Schwenken, Solidarität – Kooperation – Konflikt: Migrantische Organisierungen und Gewerkschaften in den 1970/80er Jahren, Hamburg 2022

DGB, Stellungnahme des DGB (zur Frage ausländischer Arbeitskräfte), in: Die Quelle 6, 1955

DGB Bundesvorstand (Hrsg.), Schlussbericht der Kommission Rechtsextremismus, Berlin 2000

Goeke, Simon, „Wir sind alle Fremdarbeiter!“ Gewerkschaften, migrantische Kämpfe und soziale Bewegungen in der Bundesrepublik Deutschland der 1960er und 1970er Jahre, Paderborn 2020

Goeke, Simon, Gewerkschaftliche Erinnerung an Migration, in: Stefan Berger, Wolfgang Jäger u. Ulf Teichmann (Hrsg.), Gewerkschaften im Gedächtnis der Demokratie. Welche Rolle spielen sozial Kämpfe in der Erinnerungskultur, Bielefeld 2022, S. 207-225

Herbert, Ulrich, Geschichte der Ausländerpolitik in Deutschland. Saisonarbeiter, Zwangsarbeiter, Gastarbeiter, Flüchtlinge, 2. Aufl., München 2017

Hoffmann, Reiner u. Marc Meinardus (Hrsg. für die Friedrich-Ebert-Stiftung, Globale und europäische Politik), Gewerkschaften und Rechtspopulismus in Europa, Bonn 2023

Hunn, Karin, „Nächstes Jahr kehren wir zurück …“ Die Geschichte der türkischen „Gastarbeiter“ in der Bundesrepublik, Göttingen 2005

IG BAU (Hrsg.), Grundsätze gegen Rechts – Nie wieder Faschismus. Die IG BAU in Vielfalt vereint, 2018

IG Metall (Hrsg.), IG Metall: Fast eine halbe Million Mitglieder haben Migrationshintergrund, Pressemitteilung Nr. 10/2017 vom 13.5.2017 (Online verfügbar)

IG Metall Vorstand, Ressort Migration und Teilhabe (Hrsg.), Migrationsland D. Eine Handlungshilfe für Begegnung und Dialog, Frankfurt/M. 2019

Jäger, Wolfgang, Arbeitsmigration und Gewerkschaft. Die Recklinghäuser Tagung als migrationspolitisches Forum der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (= Working Paper Forschungsförderung der Hans Böckler Stiftung Nr. 238), Februar 2022, online abrufbar unter: https://www.boeckler.de/fpdf/HBS-008247/p_fofoe_WP_238_2022.pdf

Jäger, Wolfgang, Die Grenzen der Migrationspolitik von IGBE und IGCPK von den 1970er bis in die 1990er Jahre, in: Berger, Stefan, Simon Goeke u. Caner Tekin (Hrsg.), Migrant*innenorganisationen im Vergleich, erscheint voraussichtl. 2024

Khan, Romin, Von der Symbolik zur Praxis. Die deutschen Gewerkschaften, Antirassismus und Gefahren von rechts, in: Dario Azzellini (Hrsg.), Mehr als Arbeitskampf! Workers weltweit gegen Autoritarismus, Faschismus und Diktatur, Hamburg 2021, S. 231-238

Mattes, Monika, „Gastarbeiterinnen“ in der Bundesrepublik. Anwerbepolitik, Migration und Geschlecht in den 50er bis 70er Jahren, Frankfurt/M. 2005

Öztürk, Nihat (Hrsg.), Etappen, Konflikte und Anerkennungskämpfe der Migration, Berlin 2022

Poutrus, Patrice G., Ausländische Arbeitsmigrant*innen im ‚Arbeiter-und-Bauern-Staat‘: Die sogenannten Vertragsarbeiter in der DDR. Arbeitspapier der Kommission „Erinnerungskulturen der sozialen Demokratie“, April 2021, online abrufbar unter: https://www.boeckler.de/de/faust-detail.htm?sync_id=HBS-008078; gedruckt in: Stefan Berger, Wolfgang Jäger u. Ulf Teichmann (Hrsg.), Gewerkschaften im Gedächtnis der Demokratie. Welche Rolle spielen sozial Kämpfe in der Erinnerungskultur, Bielefeld 2022, S.227-246

Reichhold, Clemens, Bernd Schneider u. Anne Lisa Carstensen (Hrsg.: Hans-Böckler-Stiftung), Migrantische Organisationen und Gewerkschaften in den 70er und 80er Jahren: Das Beispiel Frankfurt am Main, Düsseldorf, März 2021 (Online verfügbar)

Schwerpunkthema „Uns wird nichts geschenkt“ Migrant*innen in Ver.di, in: ver.di publik 4/2023, S. 3

Stokes, Lauren, Fear of the Family. Guest Workers and Family Migration in the Federal Republic of Germany, Oxford 2022

Trede, Oliver, Zwischen Misstrauen, Regulation und Integration: Gewerkschaften und Arbeitsmigration in der Bundesrepublik und in Großbritannien 1960 – 1980 (= Studien zur Historischen Migrationsforschung 28), Paderborn 2015

von Unger, Hella von, Helen Baykara-Krumme, Serhat Karakayali u. Karen Schönwälder (Hrsg.), Organisationaler Wandel durch Migration? Zur Diversität in der Zivilgesellschaft, Bielefeld 2022

Ver.di - Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft, Bezirk NRW-Süd (Hrsg.), Argumente statt Parolen. Wir hinterfragen die kruden Positionen der AfD, Berlin 2017

Wöhler, Maike, Man ist nur so lange fremd, bis man sich kennt. Griechische Arbeitsmigration in Wiesbaden im 20. Jahrhundert, Ahrensburg 2020 

Wöhler, Maike, „In Deutschland wartet das Paradies auf uns“. Die Olympia Werke und die griechische Arbeitsmigration in Nordwestdeutschland, Bielefeld 2023

Zopi, Mikail, Glückauf Gelsenkirchen, Glückauf Herten. Türkische Bergleute in Gelsenkirchen und Herten, o.O.o.J. (Gelsenkirchen 2019)