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Zwei Gewerkschaftsvertreter vom DGB und CNV stehen an ihrem Infostand an der Grenze zwischen Gronau (Deutschland) und Glanerburg (Niederlande). Symbolische Grenzschließung der Gewerkschaften eine Woche vor der Europawahl.

Kräfte bündeln: Europäische Gewerkschaftszusammenarbeit

Bevor der europäische Einigungsprozess Fahrt aufnimmt, organisieren sich die Gewerkschaften auf europäischer Ebene: Bereits 1950 schließen sie sich im Internationalen Bund Freier Gewerkschaften (IBFG) zur European Regional Organization (ERO) zusammen. Im Mittelpunkt der Aktivitäten stehen alle Fragen des Wiederaufbaus nach dem Krieg.

Für die westeuropäischen Gewerkschaften kommt mit der Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) eine neue politische Bühne hinzu, auf der sie für die Gestaltung der Arbeits- und Lebensbedingungen streiten. Sie wollen gemeinsam Einfluss auf die europäische Politik nehmen, die anfangs vor allem auf den Bereich der wirtschaftlichen Kooperation konzentriert ist. 1958 schließen sich die im IBFG verbundenen Gewerkschaften der sechs Mitgliedsstaaten zum Europäischen Gewerkschaftssekretariat in Düsseldorf, dem Sitz des DGB, zusammen; mit dabei sind u.a. die seit 1950 in Brüssel ansässige Europäische Regionalorganisation des IBFG und Vertretungen der Berufssekretariate. Aus dem Sekretariat geht im April 1969 der Europäische Bund Freier Gewerkschaften (EBFG) hervor. Bestrebungen, sich auf europäischer Ebene zu organisieren, unternehmen auch der christlich orientierte Weltverband der Arbeit und der kommunistisch dominierte Weltgewerkschaftsbund. Der EBFG bildet sich im Februar 1973 zum Europäischen Gewerkschaftsbund (EGB) um, in dem zunächst sozialdemokratisch orientierte Verbände vorherrschen. Bald aber kommen auch zunehmend christlich orientierte Gewerkschaften hinzu. Die Aufnahme kommunistischer Gewerkschaften zieht sich noch lange hin; so tritt die französische Confédération Générale du Travail (CGT) erst 1999 in den EGB ein. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs folgen auch die Gewerkschaften der ehemals kommunistisch regierten Länder Ost- und Mitteleuropas. Das Organisationsgebiet des EGB ist nicht auf die Länder der Europäischen Union (EU) begrenzt. Das deutsche Interesse an der Arbeit des EGB zeigt sich auch darin, dass die DGB-Vorsitzenden Heinz Oskar Vetter und Ernst Breit von 1974 bis 1979 bzw. von 1985 bis 1991 Präsidenten des EGB sind.

Parallel zur Bildung eines europäischen Dachverbandes der Gewerkschaften laufen die Bemühungen, die Branchengewerkschaften auf europäischer Ebene stärker miteinander zu vernetzen und mit den Strukturen des EGB zu verknüpfen. In der vom EGB-Kongress in Sevilla 2007 angenommenen Verfassung wird betont, dass die europäische Gewerkschaftsarbeit gleichermaßen auf der Zusammenarbeit der Dachverbände wie der branchenbezogenen Organisationen beruht. Und in der Tat: Die Kooperation schreitet langsam voran.

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