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Ein Foto von einer Frau in einer Textilfabrik

Vom notwendigen Übel zur Selbstverständlichkeit: Frauen-Erwerbstätigkeit - der lange Weg zur Anerkennung

Die Vorbehalte gegen die Erwerbstätigkeit von Frauen im 19. Jahrhundert sind groß. Bei Männern wie bei Frauen. Das gilt insbesondere für die oft schwere Arbeit in Manufakturen und Fabriken.

Erwerbsarbeit ist ein notwendiges Übel, um das Familieneinkommen zu verbessern. Spätestens mit der Geburt des ersten Kindes sollen sich die Frauen wieder ausschließlich um Haushalt und Familie widmen. Dass Erwerbstätigkeit und eigenes Einkommen Frauen auch ein unabhängigeres, eigenständiges Leben ermöglichen, diese Perspektive wird zur damaligen Zeit nicht wahrgenommen.

Mit dem Vormarsch der Maschinen ändert sich das langsam. Die Industrie stellt immer mehr Frauen ein, weil die „typisch“ weiblichen Fertigkeiten und Fähigkeiten gefragt sind. Gleichzeitig nehmen Angestelltentätigkeiten in Industrie und Dienstleistungsbereich zu. Sie sind eine Domäne der Frauen, die den Wert ihrer Berufstätigkeit zu schätzen wissen. Allerdings finden die Gewerkschaften kaum Zugang zu diesen Beschäftigten. Die weiblichen Angestellten entwickeln, wie ihre männlichen Kollegen, ein eigenes Standesbewusstsein. Sie wollen nicht mit Handarbeitern in einen Topf geworfen werden.

Frauen und Gewerkschaften - lange Zeit ein ambivalentes Verhältnis. Erst in den 1970er Jahren wird es spürbar besser. 

Dennoch setzt sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts ein Umdenken durch: Die berufliche Ausbildung von Mädchen und jungen Frauen nimmt zu. Das gilt nicht nur für „typisch“ weibliche Berufe in der Textil- und Bekleidungsindustrie und in allen Dienstleistungsbereichen, sondern auch – ausgehend vom Bürgertum – in qualifizierteren Berufen, zum Beispiel im Erziehungs- und Gesundheitsbereich. 1896 legt in Preußen das erste Mädchen das Abitur ab, 1908 werden die Höheren Lehranstalten für Mädchen in das allgemeine Schulsystem integriert. Seitdem können Frauen mit Abitur auch an der Hochschule studieren.

Gefördert wird die Entwicklung der weiblichen Erwerbstätigkeit durch die Frauenbewegung und die Arbeiterbewegung, deren Vorkämpferinnen und Vorkämpfer in der Berufstätigkeit eine Voraussetzung für die Emanzipation der Frauen sehen.

 

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August 1973: Die ausländischen Arbeiterinnen der Firma Pierburg in Neuss erkämpfen in einem einwöchigen Streik die Abschaffung der Leichtlohngruppen. Filmausschnitt aus „Aus Gastarbeitern wurden Kolleginnen und Kollegen".

© IG Metall

Frauen – Reservearmee des Arbeitsmarkts

Im Ersten Weltkrieg werden die Frauen zu Tausenden in die Fabriken geholt, um die Männer, die an der Front kämpfen, zu ersetzen. 1918/1919 werden sie wieder nachhause geschickt. Die Demobilmachungsverordnungen zwingen sie, Platz zu machen für die Soldaten, die aus dem Krieg zurückkehren. Dennoch nimmt die Frauenerwerbsarbeit in den 1920er – unterstützt von einem neuen Frauenbild – zu, bis sie in der Weltwirtschaftskrise der frühen 1930er Jahre und schließlich in den ersten Jahren der NS-Diktatur wieder zurückgedrängt wird. Erneut müssen die Frauen zugunsten der Männer, den „Haupternährern“ der Familie, die Arbeitsplätze räumen – bis sie während des Zweiten Weltkriegs wieder in den Fabriken gebraucht werden.

Dieses „mal rein in die Betriebe, mal raus aus den Betrieben“ setzt sich nach dem Zweiten Weltkrieg fort. Zumindest in der jungen Bundesrepublik. Während die DDR sowohl aus wirtschafts- als auch frauenpolitischen Gründen die weibliche Berufstätigkeit fördert, sorgt das konservative Frauen- und Familienbild der Regierenden in den Westzonen dafür, dass die Frauen wieder aus dem Berufsleben verdrängt werden. Erst in den 1960er Jahren verliert die Frauenerwerbsarbeit allmählich ihren schlechten Ruf. Die Erkenntnis, dass Berufstätigkeit auch für Frauen eine Lebensperspektive sein kann, setzt sich durch.

Seitdem steigt die Zahl gut ausgebildeter Frauen in Industrie und Verwaltung stetig an. Erleichtert wird die Berufstätigkeit von Frauen durch Teilzeitmodelle, die es ihnen ermöglichen, Beruf und Familie zu vereinbaren. Denn die Verantwortung für Hausarbeit und Kindererziehung wird unverändert an die Frauen delegiert. Ob nun befristet oder auf Dauer, ob voll- oder teilzeitbeschäftigt: Frauen sind durch Berufs- und Familienarbeit doppeltbelastet. Das Angebot an gesellschaftlichen Einrichtungen wie Kindergärten und Ganztagsschulen ist gering, der Ruf von Frauen, die ihre Kinder dort tagsüber betreuen lassen, eher schlecht.

Anders in der DDR: Dort wird werden Familien durch die Einrichtung von öffentlichen oder betrieblichen Kindertagesstätten, Kantinen und Wäschereien entlastet. Dennoch liegt die Verantwortung für die Familienarbeit auch dort weiterhin bei den Frauen. Ein neues, partnerschaftliches Rollenbild setzt sich in der DDR und in der Bundesrepublik erst nach und nach durch – und ist bis heute nicht überall angekommen.

 

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6000 Frauen ziehen 1980 vor das Bundesarbeitsgericht in Kassel, um die "Heinze-Frauen" in ihrem Kampf um Lohngerechtigkeit zu unterstützen. Ihr Erfolg schreibt Geschichte.

© Verdi

Rechtliche Behinderungen

Auch der Weg zur politischen Gleichberechtigung der Frauen ist steinig. Die Haltung, der Mann sei „von Natur aus“ für den außerhäuslichen Bereich, die Frau für Heim und Familie zuständig, hält sich hartnäckig und spiegelt sich in vielen Gesetzen wider. So ist Frauen im 19. Jahrhundert die Mitgliedschaft in politischen Vereinen verwehrt. Das erschwert Gewerkschaften, die bis 1908 zu politischen Vereinen erklärt werden können, die Werbung. Zwar sind Frauen auch schon vor 1908 in Gewerkschaften und politischen Parteien aktiv, doch sie bewegen sich mit ihrem Engagement in einer „Grauzone“.

Meilensteine auf dem Weg zur rechtlichen Gleichstellung von Mann und Frau sind die Weimarer Reichsverfassung (1919), das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland und die Verfassung der DDR. In beiden deutschen Staaten wird die Gleichberechtigung von Mann und Frau verfassungsmäßig verankert.

Dennoch bleiben in der Bundesrepublik noch zahlreiche rechtliche Hürden bestehen: So ist es verheirateten Frauen lange nicht erlaubt, ohne die Genehmigung des Ehemannes eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen. Bis zum 1. Juli 1958 kann der Ehemann den Arbeitsvertrag seiner Frau ohne deren Einwilligung fristlos kündigen. Und er hat das Recht, den Lohn seiner Frau zu verwalten. Erst das Gleichberechtigungsgesetz, das am 1. Juli 1958 in Kraft tritt, öffnet den Weg dazu, dass Ehefrauen ihre eigenen Vermögensangelegenheiten regeln und damit ein eigenes Bankkonto eröffnen können. Die Reformen des Familien- und Eherechts Mitte der 1970er Jahre stellen schließlich die Gleichberechtigung von Mann und Frau auch auf diesem Gebiet her.