Epochen

: 1830 - 1870: Anfänge der Arbeiterbewegung

Die mit der Dampfmaschine einsetzende Industrielle Revolution führt zur Massenverelendung von Arbeiter*innen und ihren Kindern. Rechtlos sind sie unternehmerischer Willkür und Ausbeutung ausgesetzt. Demokratische Aufbrüche finden mit der Zerschlagung der Revolution 1848 durch den monarchistischen Obrigkeitsstaat vorerst ihr Ende. Dennoch schließen sich mehr und mehr Arbeiter*innen in Gewerkschaften zusammen, um gegen soziale Missstände zu kämpfen und ihren Forderungen nach besseren Arbeitsbedingungen Gehör zu verschaffen.

Die Frankfurter Nationalversammlung in der Paulskirche - nach einer Zeichnung von Ludwig von Elliot

: 1871 - 1890: Bismarck-Ära

Nach der Reichsgründung prägt Reichskanzlers Otto von Bismarck die politische und gesellschaftliche Entwicklung. Mit dem Sozialistengesetz versucht er alle demokratischen Bestrebungen im Keim zu ersticken und gleichzeitig mit der schrittweisen Einführung der Kranken-, Unfall- und Rentenversicherung die gesellschaftspolitische Lage zu stabilisieren. Weder stattliche Unterdrückung und Verfolgung noch Sozialgesetzgebung halten jedoch die wachsende Arbeiter*innenbewegung davon ab, sich verstärkt für demokratische Teilhabe und soziale Gerechtigkeit zu engagieren.

Attentat auf Kaiser Wilhelm I. durch Max Hödel am 11. Mai 1878

: 1890 - 1914: Wilhelminisches Kaiserreich

Die vom Kaiserreich verfolgte imperiale Politik führt zu einer Phase wirtschaftlicher Hochkonjunktur. An den wirtschaftlichen Gewinnen werden die Arbeitnehmer*innen allerdings nicht beteiligt. Trotz weiterhin bestehender staatlicher Repressionen können Gewerkschaften dennoch erste Erfolge erzielen und zur Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen ihrer Mitglieder beitragen

Heimarbeit: Arbeitsstube eines Zwischenmeisters für Blusen, um 1910

: 1914 - 1918: Erster Weltkrieg

Die imperiale Politik des Kaiserreichs führt zum Ersten Weltkrieg. Die Folgen der angekurbelten Rüstungsindustrie sind wachsende Versorgungsengpässe und Inflation. Die anfängliche Kriegsbegeisterung in der Bevölkerung weicht im Kriegsverlauf Hungerprotesten. Auch die Unterstützung des Krieges durch die Gewerkschaften bröckelt zunehmend und sie organisieren Proteste gegen dessen soziale Verwerfungen.

Deutsche Reservisten auf dem Weg zur Front im August 1914

: 1918 - 1923: Revolution 1918 und Anfänge der Weimarer Republik

Die revolutionären Ereignisse von 1918 bringen tiefgreifende Veränderungen in Deutschland. Mit der Weimarer Republik entsteht die erste deutsche Demokratie, das allgemeine aktive und passive Wahlrecht für Frauen und Männer wird eingeführt, Gewerkschaften werden als Tarifpartnerinnen anerkannt. Inflation und Arbeitslosigkeit führen jedoch zu sozialen Spannungen. Trotz des innergewerkschaftlichen Streits über die Staatsform trägt die deutsche Arbeiter*innenbewegung entscheidend zur Stabilisierung der noch jungen Republik bei.

Inflation 1923: Eine Handvoll deutschen Geldes u.a. 20 Milliarden-Mark-Schein entspricht einem Dollar

: 1924 - 1930: Stabilisierung der Weimarer Republik

Mit der Erholung der Wirtschaft beruhigt sich die politische Lage. Sozialer Wohnungsbau und die Einführung der Arbeitslosenversicherung verbessern die soziale Lage für Arbeitnehmer*innen. Erfolgreiche Tarif- und Sozialpolitik führen zu steigenden Mitgliederzahlen der Gewerkschaften, die sich jedoch zunehmend gegen Angriffe der Arbeitgeber zur Wehr setzen müssen.

Die zeitgenössische Postkarte zeigt unter dem Motto 'Männer der neuen Regierung' Porträts der sozialdemokratischen Politiker Wilhelm Dittmann, Hugo Haase, Friedrich Ebert, Eduard David, Paul Göhre, Eduard Bernstein

: 1930 - 1933: Im Schatten der Weltwirtschaftskrise

Die politischen und sozialen Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise auf die Weimarer Republik sind verheerend. Die Regierung verfügt über keine parlamentarische Mehrheit, demokratiefeindliche Parteien gewinnen an Boden. Mit der massiven Arbeitslosigkeit wächst die soziale Not für Arbeitnehmer*innen dramatisch. Mitgliederschwund schränkt die Handlungsmöglichkeiten der Gewerkschaften ein. Mit der Tolerierung der Regierung versuchen sie den Aufstieg der NSDAP zu verhindern.

Wahlpropaganda für Paul von Hindenburg in der Wahl 1932

: 1933 - 1945: NS-Diktatur und Zweiter Weltkrieg

Die Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler ist der Anfang vom Ende der Demokratie. Nach dem Parteienverbot wurden mit den freien Gewerkschaften die letzten demokratischen Organisationen endgültig zerschlagen. Politische Gegner*innen werden verfolgt, inhaftiert, gefoltert, ermordet, ins Exil gezwungen. Widerstand im totalitären Überwachungsstaat ist kaum möglich. Am Ende der NS-Diktatur sind der millionenfache Mord an europäischen Juden und über 60 Millionen Tote eines sechsjährigen Angriffskrieges zu beklagen.

Befreiung der Häftlinge des Konzentrationslagers Dachau am 29. April 1945

: 1945 - 1949: Nachkriegsjahre

Die Spaltung Deutschlands, politische Unsicherheit, wirtschaftliche Schwierigkeiten und soziale Notlagen prägen die ersten Nachkriegsjahre. Es sind vor allem Gewerkschafter*innen der „ersten Stunde“ die politische Verantwortung übernehmen. Spontan bilden sie nach Kriegsende Betriebsausschüsse, setzen all ihre Kraft in der Beseitigung des materiellen Elends und in den demokratischen sowie wirtschaftlichen Wiederaufbau. Der Lehre aus Zerschlagung der gespaltenen Arbeiterbewegung durch die NS-Diktatur folgt die Gründung der Einheitsgewerkschaft.

Potsdamer Konferenz: Winston Churchill, S. Truman und W. Stalin (von links) beraten über Deutschlands Zukunft

: 1950 - 1966: West - Die "Wirtschaftswunder"-Jahre

Die Wirtschaft verzeichnet einen stetigen Aufschwung. Beschäftigte erhalten höhere Löhne und arbeiten unter verbesserten Bedingungen. Eine grundlegende demokratische Wirtschaftsordnung können Gewerkschaften nicht durchsetzen. Mit der Montanmitbestimmung, dem Betriebsverfassungs- und dem Tarifvertragsgesetz erkämpfen sie jedoch wichtige Gestaltungsrechte zur Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen von Arbeitnehmer*innen.

Konrad Adenauer bei der Unterzeichnung des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland am 23. Mai 1949

: 1949 - 1961: Ost - SED-Staat im Aufbau

In der Deutschen Demokratischen Republik dominiert die SED die Volkskammerwahlen. Groß- und Mittelbetriebe werden enteignet, und die Landwirtschaft wird kollektiviert. Trotz wirtschaftlicher Fortschritte verbessern sich die Lebensbedingungen in der Planwirtschaft nur langsam. Die Gewerkschaften stehen unter Kontrolle der SED. Sie können nicht unabhängig handeln. Der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund folgt den Vorgaben der Partei.

Studentinnen und Studenten beim „Ernte-Finale“: Kartoffelernte in einer LPG im Kreis Jüterbog, September 1962

: 1967 - 1974: West - Gesellschaftlicher und politischer Aufbruch

Außerparlamentarische Opposition und Notstandsgesetzgebung bringen Bewegung in die Gesellschaft. Der gesellschaftspolitische Aufbruch findet nicht nur auf der Straße und in Hörsälen statt. Mit der Wahl von Willy Brandt wird erstmalig ein Sozialdemokrat Kanzler im Nachkriegsdeutschland. Mit ihm beginnt eine neue demokratische Zeit. Gleichzeitig beendet die Ölkrise das „Wirtschaftswunder“. Dennoch werden unter Mitarbeit der Gewerkschaften weitreichende sozial- und gesellschaftspolitische Reformen auf den Weg gebracht.

Bundeskanzler Willy Brandt bei seiner Regierungserklärung am 21. Oktober 1969

: 1961 - 1974: Ost - Hinter dem Eisernen Vorhang

Mit dem Bau der Berliner Mauer verändert sich das Leben der Menschen in der DDR grundlegend. Die SED verstärkt ihren politischen Einfluss und preist die sozialistischen Errungenschaften als Systemvorteil an. Zur Verbesserung des Lebensstandards der Bevölkerung soll mit neuen Wirtschaftsplänen die Produktivität in Industrie und Landwirtschaft gesteigert werden. Während sich Bürger*innen im Privaten Freiräume schaffen, sieht sich der FDGB für die „moralische“ Erziehung der Arbeiter*innen verantwortlich.

13. August 1961: Bau der „Berliner Mauer“

: 1975 - 1990: West - Von Helmut Schmidt zu Helmut Kohl

Nach Willy Brandts Rücktritt und Helmut Schmidt Kanzlerschafft beginnt die lange Ära der christlich-liberalen Regierung unter Helmut Kohl. Die Wirtschaftskrise hält weiter an, die Arbeitslosen steigen. Mit der neuen Regierung wird der Weg frei für eine von den Arbeitgebern geforderten liberalen Wirtschaftspolitik und Sparmaßnahmen, die die Gewerkschaften unter Druck setzen. Erkämpfte arbeitsrechtliche, sozial- und tarifpolitische Errungenschaften werden verwässert oder ganz abgeschafft.

Ernst Breit bei Bundeskanzler Helmut Schmidt: Übergabe der Unterschriften gegen die Nachrüstung am 17. September 1982

: 1975 - 1990: Ost - Krise und Ende der DDR

Politische und wirtschaftliche Krisen prägen die letzten Jahre der DDR. Anhaltende Massenflucht und zunehmende Proteste führen zur Öffnung und schließlich dem Fall der Mauer. Der FDGB bleibt trotz des schwindenden Rückhalts in der Bevölkerung den Vorgaben der SED treu und lehnt tiefgreifende politische und wirtschaftliche Reformen ab. Leicht verbesserte Lebensbedingungen können den Zerfall des Einparteienstaates nicht verhindern.

Schild auf dem Betriebsgelände des VEB Geräte- und Regelwerke Teltow „40 Jahre DDR“

: 1991 - 2015: Nach der Deutschen Einheit

Die Euphorie der Einigung wandelt sich schnell in Ernüchterung. Der europäische Binnenmarkt, die voranschreitende Globalisierung und die Digitalisierung der Arbeitswelt stellen Wirtschaft und Politik vor immense Herausforderungen. Gewerkschaften sehen sich mit millionenfachem Abbau von Arbeitsplätzen in den „Neuen Bundesländern“, sinkenden Reallöhnen und einer wachsenden Zahl prekärer Arbeitsplätze konfrontiert. Zudem wird der Sozialabbau mit der Agenda 2010 fortgeführt. Mit Zusammenschlüssen bündeln Gewerkschaften ihre Kräfte. Arbeitszeit- und tarifpolitische Erfolge können erzielt werden.

Einheitsfeier vor dem Reichstag am 3. Oktober 1990: Bundeskanzler Helmut Kohl, seine Frau Hannelore Kohl, Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher, Bundespräsident Richard von Weizsäcker und Willy Brandt

: 2016 - 2023: Krisenzeiten

Ob Große oder Ampelkoalition, die jeweilige Bundesregierung hat es mit der Bewältigung von zunehmenden unterschiedlichen Krisen zu tun. Anstieg der Geflüchtetenzahlen, Corona-Pandemie, Überfall Russlands auf die Ukraine, Hamas-Angriff auf Israel sowie die Klima-Krise, aber auch steigende Strom- und Heizkosten, Inflation, wachsende Wohnungsnot und Altersarmut stellen die Politik auf den unterschiedlichsten Handlungsfeldern vor große Herausforderungen. Aber nicht nur die Politik ist verstärkt gefordert, auch Gewerkschaften sind als Krisenmanagerinnern gefragt. Sie sind konfliktbereiter und gewinnen an Mitgliedern. Tarifpolitisch werden Erfolge erzielt. In einigen Branchen wird ein Inflationsausgleicht gezahlt. Die Gestaltung und Verteidigung der sozialen Demokratie steht weiterhin oben auf ihrer politischen Agenda.

Auf der Regierungsbank: Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP), Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Vizekanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen)