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Im Büro: Wegen Corona auf Abstand und mit Maske

Wirtschaft : Strukturveränderungen gestalten

Die deutsche Wirtschaft steht einer Fülle neuer Herausforderungen gegenüber. Ein tiefgreifendes Umsteuern ist nötig. Das deutsche „Geschäftsmodell“ gerät unter Druck.

Kaum sind die Belastungen der Finanz- und der Euro-Schuldenkrise halbwegs überwunden, da kommt 2020 die nächste große Belastungsprobe: die Corona-Krise. Die globalen Handelswege werden unterbrochen. Lockdown-Maßnahmen treffen fast alle Wirtschaftszweige, besonders schwer Handel und Gastgewerbe, Veranstaltungs- und Messebranche sowie Tourismus. Überbrückungshilfen können nicht alle Unternehmen retten. Viele Arbeitskräfte wandern aus diesen Bereichen ab und kehren nach dem Ende der Pandemie nicht zurück.

Die Digitalisierung wird vorangetrieben. In der Industrie und auch im Dienstleistungsbereich werden Arbeitsprozesse beschleunigt und besser miteinander vernetzt. Die Industrie 4.0 setzt sich durch. Der voranschreitende Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) verstärkt den Trend zur Automatisierung. Und die Plattformökonomie breitet sich aus; hier treten Kundinnen und Kunden im Internet direkt mit den Anbietern von Waren oder Dienstleistungen in Kontakt. Das bringt ganz neue Großunternehmen hervor, die alteingesessenen Firmen Konkurrenz machen.

Trotz aller Herausforderungen erweist sich die Wirtschaft als relativ stabil. Der vielfach befürchtete Konjunktureinbruch bleibt – zunächst – aus. Dazu trägt gewiss die „Null-Zins-Politik“ der Europäischen Zentralbank (EZB) bei: Kredite sind günstig. Erst 2022 nötigt die Inflation die EZB dazu, nach und nach den Leitzins anzuheben.

Gerade als sich erste Zeichen der „Normalisierung“ zeigen, folgt die nächste, noch schwerere Herausforderung: der Krieg, den Russland am 24. Februar 2022 gegen die Ukraine beginnt. Der Abbruch der Lieferungen von Öl und Gas aus Russland und die von einer Reihe westlicher Staaten einschließlich Deutschlands beschlossenen Sanktionen führen zu Energieknappheit und Lieferengpässen,

Besonders betroffen von der „Energie-Krise“ 2022 sind alle von (relativ) billiger Energie abhängigen Wirtschaftszweige, z.B. die Chemieindustrie und die Stahlindustrie. Staatliche Unterstützungsmaßnahmen haben nur begrenzt Erfolg. In der Bauwirtschaft lassen Energiesparmaßnahmen wie stärkere Dämmung und neue nicht-fossile Heizsysteme die Baukosten zusätzlich steigen. Auch im Handwerk, etwa in Backbetrieben, steigen die Kosten – und mit ihnen die Preise. Und die hohen Transportkosten wirken sich in nahezu allen Branchen preissteigernd aus, am stärksten im Lebensmitteleinzelhandel. Die Anhebung des Leitzinses als Teil der Maßnahmen der EZB zur Inflationsbekämpfung wirkt 2023 dämpfend auf die Konjunktur.

Auch der Fachkräftemangel hemmt die Ausweitung der wirtschaftlichen Tätigkeit. Betroffen sind fast alle Wirtschaftszweige: Industrie, Handwerk, Handel und Gastgewerbe leiden ebenso darunter wie Krankenhäuser und Pflegeheime. Versuche, Fachkräfte aus dem Ausland anzuwerben, haben nur begrenzten Erfolg.

Das Bemühen, einseitige wirtschaftliche und damit politische Abhängigkeiten abzubauen, führt zu Umstrukturierungen der internationalen Handelsbeziehungen. Die Häufung internationaler Konflikte, die sich 2022/23 zum Teil in unmittelbarer Nachbarschaft Europas zu Kriegen entwickeln, erschwert die Rückkehr zur wirtschaftlichen „Normalität“. Das seit Jahrzehnten bewährte deutsche Wirtschaftsmodell mit seiner hohen Exportabhängigkeit gerät unter Druck. Zudem stellt der Umbau der Wirtschaft in Richtung auf nachhaltiges Wirtschaften alle Bereiche vor große Aufgaben: Der Ausstieg aus fossilen Energiequellen und die angestrebte CO2-Neutralität in Industrie, Handwerk, Wohnen und Verkehr verlangt eine grundsätzliche Veränderung nicht nur der Produktionsweise, sondern auch des Lebensstils. Und die Ansiedlung neuer Firmen, durch die die Abhängigkeit vom Ausland z.B. bei der Chip- und Batterieherstellung verringert werden soll, fordert massive Subventionen. All diese Maßnahmen sind mit hohem Kostenaufwand verbunden. Das nährt Sorgen vor einer ungewissen Zukunft. So zeichnet sich 2023 eine Abschwächung des wirtschaftlichen Wachstums bis hin zur Rezession ab.