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DGB-Plakat zur Mitbestimmungsinitiative: „Job-Killer“ sind auf dem Vormarsch“, 1993

Globalisierung und Digitalisierung fordern heraus: Einheit und Strukturwandel gestalten

Die Wiedervereinigung ist ein Konjunkturprogramm für die Wirtschaft im Westen: Während in der früheren DDR viele Betriebe abgewickelt werden, nutzen Westfirmen bereits vorhandene Kapazitäten, um den Bedarf an Waren im Osten zu decken. Doch der Boom ist von kurzer Dauer: Der neue europäische Binnenmarkt und die Globalisierung verändern auch die Wirtschaft im Westen radikal.

Unmittelbar nach der Wiedervereinigung wird die Planwirtschaft der ehemaligen DDR in die Marktwirtschaft des Westens integriert. Die staatlichen Unternehmen in den Neuen Bundesländern werden, soweit sie wettbewerbsfähig sind, privatisiert, andere werden „abgewickelt“. Die Industrieproduktion sinkt von 1990 bis 1994 um 60 Prozent. Auf die westdeutsche Wirtschaft hingegen wirkt diese Umstrukturierung wie ein Konjunkturprogramm. Dank des neuen Absatzmarktes östlich der Elbe können bereits vorhandene Kapazitäten voll ausgelastet werden, nur wenige Unternehmen eröffnen einen neuen Standort im Osten. 

Doch trotz des Rückgangs der Industrieproduktion liegen Mitte der 1990er Jahre die jährlichen Wachstumsraten im Osten mit bis zu neun Prozent deutlich über denen im Westen. Aber dieses Wachstum reicht nicht aus, um die Arbeitslosigkeit, die in den ersten Jahren nach der Wende dramatisch steigt, zu senken. Von gleichen Lebensverhältnissen in Ost und West kann nicht die Rede sein.

Europa in der Krise

Parallel zur deutschen Wiedervereinigung gewinnt die europäische Einigung an Dynamik. 2001 führen 12 europäische Länder den Euro ein. Inzwischen sind es 19. Durch die Freizügigkeit von Dienstleistungen, Waren, Personen und Kapital sowie die gemeinsame Währung, eine Europäische Zentralbank und eine koordinierte Wirtschafts- und Finanzpolitik sollen die Voraussetzungen für ein starkes Europa geschaffen werden. Die Aufnahme von Ländern des ehemaligen Ostblocks, unter anderem Polen, Ungarn und Tschechien, ist beschlossene Sache.

15 Jahre später stecken Europa und der Euro in einer tiefen Krise. Einige EU-Länder sind hoch verschuldet und können nur durch Milliarden-Kredite und Bürgschaften vor dem wirtschaftlichen Kollaps gerettet werden. Die Vorstellungen der insgesamt 28 Länder, wie Europa sich weiterentwickeln soll, gehen weit auseinander, und die Zustimmung der Bevölkerung zu Europa schwindet.

Globalisierung und ihre Folgen

Eine wirklich „neue” Herausforderung ist die Globalisierung. Neu sind Ausmaß und Geschwindigkeit, mit der Geldströme um die Welt geschickt werden, um sie dort anzulegen, wo schnelle Gewinn möglich sind. Neu ist, dass „Niedriglohnländer” direkt vor der europäischen Haustür liegen und nicht mehr durch den „Eisernen Vorhang” abgetrennt sind. Die Produktion kann problemlos dorthin verlagert werden. Und neu ist, dass nicht nur einfache Arbeiten, sondern hoch qualifizierte Tätigkeiten in Niedriglohnländern ausgeführt werden können. Dank des Einsatzes der elektronischen Datenverarbeitung im Produktionsprozess und bei der Übermittlung von Informationen und dank der weltweiten Flug- und Schifffahrtsverbindungen kann Arbeit sehr kostengünstig weltweit an unterschiedlichen Arbeitsstätten ausgeführt und wieder zusammengeführt werden. Kapital-, Handels- und Investitionsströme kennen keine Grenzen. Das Nachsehen haben die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Sie können im Zeitalter der Globalisierung jederzeit durch Arbeitskräfte in den Niedriglohnländern Asiens und Afrikas ersetzt werden.

Von diesem Strukturwandel sind nicht nur die Industriestandorte der Neuen Bundesländer betroffen. Auch die „alten” Industriezentren in Westdeutschland bekommen ihn zu spüren. Der Niedergang etwa von Bergbau, Stahlerzeugung und Werften trifft Ruhr, Saar und die deutschen Küstenregionen schwer. Relativ gut behaupten sich Baden-Württemberg und Bayern. Sie haben schon in den 1960er/70er Jahren, auch mit finanzieller Unterstützung der damals reichen „alten” Industrieregionen, ihre Wirtschaft modernisiert.

Nach dem Tief um die Jahrtausendwende ist die deutsche Wirtschaft 2015 trotz der Banken- und Schuldenkrisen wieder gut aufgestellt. Dank Euro, Innovationskraft und der Qualität deutscher Produkte erzielt sie im März 2015 den höchsten Exportwert in ihrer Geschichte. Weltweit rangiert sie auf Platz 3, hinter China und der USA. Das Bild wird indessen verdunkelt, wenn man die Produktionsverlagerung in Länder mit niedrigen Sozial- und Umweltstandards und die Zuspitzung der sozialen Unterschiede – weltweit und auch in Deutschland – berücksichtigt.