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Konsequenz aus Mitgliederverlusten: Fusionen der Einzelgewerkschaften
Ab Mitte der 1990 ziehen die Gewerkschaften Konsequenzen aus dem anhaltenden Mitgliederschwund und den damit einhergehenden finanziellen Problemen. Mehrere Gewerkschaften schließen sich zusammen.
Die Gewerkschaft Gartenbau, Land- und Forstwirtschaft und die IG Bau – Steine – Erden werden 1996 zur IG Bauen – Agrar – Umwelt (IG BAU). IG Chemie, IG Bergbau und Energie sowie Gewerkschaft Leder schließen sich im Oktober 1997 zur Gewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) zusammen. Ebenfalls 1997 beschließt die Gewerkschaft Textil und Bekleidung, sich zum 1. April 1998 der IG Metall anzuschließen. Die Gewerkschaft Holz und Kunststoff folgt diesem Beispiel am 1. Januar 2000.
Das wohl anspruchsvollste Vorhaben ist die Bildung einer großen Dienstleistungsgewerkschaft, auf die sich 1996/97 die Deutsche Postgewerkschaft (DPG), die IG Medien und die Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen (HBV) mit der Deutschen Angestelltengewerkschaft (DAG) und der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV) verständigen. Die Entscheidung der DAG, sich mit Gewerkschaften des DGB zusammenzuschließen, ist eine kleine Sensation. Detlef Hensche, der Chef der IG Medien, nennt die Fusion „historisch notwendig”. Roland Issen, seit 1987 der Vorsitzende der DAG, sieht darin eine „Schicksalsfrage für die Gewerkschaften”.
Ziel dieser Fünf ist es, eine Gewerkschaft für den privaten und öffentlichen Dienstleistungssektor zu schaffen. Doch nicht alle machen mit: Die Gewerkschaft der Eisenbahner beharrt auf ihrer organisatorischen Eigenständigkeit, ebenso die Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten und die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft. Nach zahlreichen getrennten und gemeinsamen Konferenzen wird schließlich im März 2001 in Berlin die Vereinigte Dienstleistungsgewerkschaft ver.di gegründet.
Die „großen” Beschlüsse zur Fusion sind das eine, die praktische Umsetzung in der Organisation das andere: Zusammenlegung von Orts-, Kreis- und Bezirksbüros, Besetzung der Stellen, Organisation der Arbeitsbereiche von der Bildungsarbeit bis zur Tarifpolitik, Aufbau neuer Betreuungsbeziehungen zwischen den Gewerkschaftsapparaten und den Mitgliedern, Vertrauensleuten und Betriebsräten – es vergeht noch einige Zeit, bis das wieder eingespielt ist. Hinzu kommen noch die Probleme einer Integration der ehemaligen Einzelgewerkschaften als „Fachabteilungen” in die neuen Verbände, ohne dass dies zu weiteren Aufgabendoppelungen und Reibungsverlusten führt. Und schließlich ist da noch der allgegenwärtige Sparzwang, der zu Stellenabbau und Arbeitszeitverkürzung ohne vollen Lohnausgleich führt.
Zeitzeugen-Interview mit Roland Issen: zeitzeugen.fes.de
Und noch etwas zeigt sich deutlich: Der Fusionsprozess verläuft nicht geplant, nicht nach einem „Generalplan” für die gesamte Gewerkschaftsbewegung, sondern er erwächst aus den von einzelnen Gewerkschaften empfundenen Notwendigkeiten oder Möglichkeiten zu Kooperation und Zusammenschluss. Deswegen ist die Logik der Zuordnung nicht immer auf den ersten Blick nachvollziehbar. So ist gewiss nicht unmittelbar einsichtig, dass die Arbeitnehmer der Textilindustrie nicht zur „näher liegenden” IG Chemie, sondern zur IG Metall gehen. Und es ergeben sich Abgrenzungsprobleme zwischen den jeweiligen Organisationsbereichen. So organisieren IG Metall und IG Chemie Arbeitnehmer im Bereich der Umweltgestaltung, den nun die Gewerkschaft Bauen beansprucht. Und zwischen IG Bergbau und ÖTV kommt es zum Konflikt um die Beschäftigten der Wasserwirtschaft.
Hinter dieser Fusionsbewegung stehen zwei grundsätzliche Zwänge bzw. Überlegungen: Zum einen sind die Gewichte zwischen den Gewerkschaften allein auf Grund ihrer unterschiedlichen Mitgliederzahl und Finanzkraft höchst ungleich verteilt. Zum anderen zwingen Mitgliederrückgang und schwindende Finanz- und Durchsetzungskraft zur Bündelung der Kräfte. Dass mit diesem Vereinigungsprozess, an dessen Ende nur noch einige große Gewerkschaften stehen, eine zunehmende Ferne von den einzelnen Mitgliedern und auch der „Rückzug aus der Fläche” gefördert werden, wird zwar vielfach beklagt, aber auf Grund der Zwänge zu Kostensenkung und Kräftebündelung in Kauf genommen.
Die DGB-Reform und die Fusionen führen dazu, dass sich die Gewerkschaften zunehmend aus ländlichen Regionen zurückziehen, Büros schließen und Personal abbauen. So beschweren sich z.B. auf dem DGB-Kongress 1998 Delegierte darüber, dass Sparmaßnahmen und Personalabbau vorrangig auf der Kreisebene durchgesetzt werde, während Landes- und Bundesebene weitgehend geschont werden. Das mache den Service schlechter und erschwere die Mitgliederwerbung. Auf fruchtbaren Boden sind diese Bedenken nicht gefallen.
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