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Tabu-Katalog der Arbeitgeber: Tarifkonflikte nehmen an Schärfe zu
In dem Maße, in dem sich der Einfluss der Gewerkschaften auf die Wirtschaftspolitik verringert, in dem Maße konzentrieren sie sich wieder stärker auf den Bereich der Tarifpolitik. Die Konflikte mit den Arbeitgebern und ihren Verbänden nehmen an Schärfe zu.
Denn diese lassen kaum eine Gelegenheit aus, die Gewerkschaften an den Pranger zu stellen. 1985 und 1986 machen sie indirekt die Gewerkschaften für die hohe Arbeitslosigkeit verantwortlich. In mehreren Stellungnahmen zur Beschäftigungspolitik beklagen sie, dass die zu hohen Löhne und die zu hohen Lohnnebenkosten die Investitionsneigung der Unternehmen bremsten und die Wachstumsraten daher niedrig seien. Sie fordern von den Gewerkschaften lohnpolitische Zurückhaltung, um die Massenarbeitslosigkeit abzubauen. Den von den Gewerkschaften geforderten Ausbau des Rationalisierungsschutzes und weitere Arbeitszeitverkürzungen lehnen sie strikt ab, da die Arbeitskosten dadurch weiter steigen würden.
Die wichtigsten Tarifkonflikte
Doch obwohl öffentlich heftig unter Beschuss, lassen sich die Gewerkschaften nicht in die Defensive drängen und antworten auf die Arbeitgeberpolitik mit einer bisher ungekannten Konfliktbereitschaft. Insbesondere in den Jahren 1978, 1981, 1984 und 1986 kommt es zu zahlreichen Streiks, in denen die Gewerkschaften auch die Strategie der „neuen Beweglichkeit” erproben. Statt in einer ganzen Region oder gar bundesweit zu unbefristeten Streiks aufzurufen, werden Schwerpunktbetriebe ausgewählt, in denen Belegschaften meist nur für ein paar Tage die Arbeit niederlegen. Mit dieser Taktik wollen die Gewerkschaften Produktionsverlagerung und Aussperrung erschweren.
Die Konflikte dieser Jahre entzünden sich vor allem an den Forderungen nach Lohnstabilisierung bzw. -erhöhung, nach Arbeitszeitverkürzung (auf 35 Stunden pro Woche) und nach Verlängerung des Jahresurlaubs. Die Gewerkschaft Handel, Banken, Versicherungen kämpft zudem gegen eine Aufweichung des Ladenschlussgesetzes. Aber auch die Frage des Rationalisierungsschutzes spielt eine Rolle, und zwar insbesondere in der Metall- und in der Druckindustrie.
Besonders heftig sind folgende Kämpfe: Die Lohnrunde für die Druckindustrie im April/Mai 1976, das Rationalisierungsschutzabkommen für die Druckindustrie im Februar/März 1978 und für die Metallindustrie Nordbaden/Nordwürttemberg im März/April 1978. Für die Einführung der 35-Stunden-Woche kämpfen die Beschäftigten der nordrhein-westfälischen Eisen- und Stahlindustrie im November/Dezember 1978/79, der Druckindustrie von April bis Juli 1984 und der Metallindustrie von Mai bis Juli 1984. Diese Arbeitskämpfe ebnen den Weg für eine stufenweise Verkürzung der Arbeitszeit auf 35 Stunden proWoche, die nach weiteren Arbeitskämpfen, z.B. von der IG Metall (April 1987), der Gewerkschaft ÖTV (Frühjahr 1988), der Gewerkschaft Textil-Bekleidung und der IG Chemie (Juni/Juli 1988) durchgesetzt wird.
In fast all diesen Auseinandersetzungen greifen die Arbeitgeber zum Mittel der Aussperrung. Dies schlägt in der Arbeitskampfstatistik wie folgt zu Buche: In den Jahren 1978/79 verdoppelt sich die Zahl der ausgefallenen Arbeitstage beinahe, im Jahr 1984 fallen mehr Arbeitstage durch Aussperrung als durch Streik aus.
Angesichts der Vielzahl von Aussperrungen bemühen sich die Gewerkschaften um eine Eingrenzung dieses unternehmerischen Arbeitskampfmittels. Bereits 1955 und 1971 hat das Bundesarbeitsgericht die Aussperrung als Mittel zur Sicherung der „Kampfparität” zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern anerkannt. Aber es hat darauf hingewiesen, die Aussperrung löse nicht den Arbeitsvertrag auf, sondern suspendiere diesen nur. Nun zielen die Gewerkschaften mit einer Aktion von Massenklagen und Demonstrationen auf ein Verbot der Aussperrung. Damit soll der Kampf gegen das Aussperrungsrecht in der Mitgliedschaft abgestützt und zugleich eine Politisierung der Auseinandersetzung erreicht werden.
Video
Der Kampf um die 35-Stunden-Woche dominiert die gesellschaftliche Debatte, Arbeitgeber antworten mit Aussperrungen auf die Streiks.
© DGB
Gericht schränkt Aussperrung ein
Das vom Bundesarbeitsgericht im Juni 1980 verkündete Urteil bestätigt jedoch das Recht auf Aussperrung, unterstreicht aber, dass der Arbeitsvertrag dadurch nur vorübergehend suspendiert werde. Aber es setzt den Arbeitgebern auch Grenzen: Die Aussperrung darf nicht nur gegen Gewerkschaftsmitglieder gerichtet sein. Sie muss sich auf ein Tarifgebiet beschränken und sie muss verhältnismäßig sein. Sprich: Die Zahl der Ausgesperrten darf die Zahl der Streikenden nicht „unverhältnismäßig“ überschreiten.
Bilanz der Tarifpolitik
Mit ihrer Tarifpolitik erreichen die Gewerkschaften in den 1970er und 1980er Jahren beachtliche Erfolge. Es gelingt ihnen, die Einkommen zu stabilisieren und die Arbeitszeit zu verkürzen. Der durch die Arbeitszeitverkürzung erhoffte Abbau der Massenarbeitslosigkeit tritt jedoch nicht ein.
Doch die Erfolge können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Gewerkschaften unter dem Druck von Wirtschaftskrise und Massenarbeitslosigkeit in der Defensive sind. Zwar fordern sie immer wieder eine deutlichere Anhebung der Löhne, um die Massenkaufkraft zu stärken und dadurch die Wirtschaft anzukurbeln. Faktisch beschränken sie sich aber darauf, einen Ausgleich des Preisanstiegs durchzusetzen. Die Sicherung des Lebensstandards wird zur Devise in den Tarifauseinandersetzungen der 1970er und 1980er Jahre. Dass diese Politik die Kaufkraft nicht erhöht, liegt auf der Hand. Oft preisen die Gewerkschaften selbst ihre Lohnabschlüsse als maßvoll und verantwortungsbewusst und widersprechen damit ihrer eigenen Argumentation.
Auch andere Probleme der gewerkschaftlichen Lohnpolitik bleiben aktuell: Es gelingt den Gewerkschaften nicht, die Effektivverdienste tarifvertraglich abzusichern und die Einkommen von Frauen denen der Männer anzupassen. Die Einführung von sogenannten Sockelbeträgen, die verhindern sollen, dass die Lohndifferenz durch ausschließlich prozentuale Lohnerhöhungen noch verschärft wird, ist umstritten.
In einem Punkt gibt es einen Durchbruch: Im Juli 1988 tritt für die Chemie-Industrie ein „Jahrhundertvertrag” in Kraft: Erstmals wird ein Entgelttarifvertrag für Arbeiter(innen) und Angestellte vereinbart, durch den der Unterschied zwischen Löhnen und Gehältern zu Gunsten einer für Arbeiter(innen) und Angestellte geltenden Entgeltstaffelung in 13 Stufen abgeschafft wird. Die anderen Gewerkschaften – z. B. die IG Metall, die Postgewerkschaft und die IG Bau – erkennen diesen Entgelttarifvertrag als zukunftsweisend an.
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