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Seite aus einem FDGB-Mitgliedsbuch mit  Sondermarken

FDGB schwört SED die Treue: „Wir sind mit Dir, Partei!“

Der FDGB bleibt sich treu. Wie in den Jahrzehnten zuvor setzt er zielstrebig die Vorgaben der DDR-Staatsführung um. Er engagiert sich für die Steigerung der Produktivität und die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen. Und er erzieht seine Mitglieder ganz im Sinne der „sozialistischen Menschengemeinschaft“.

Eigentlich läuft alles nach Plan. SED und FDGB zeigen sich mit der wirtschaftlichen Entwicklung in der zweiten Hälfte der 1970er zufrieden, die Strategie Honeckers von der „Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik“ scheint aufzugehen. Selbstbewusst kündigt die SED in den folgenden Jahren neue sozialpolitische Maßnahmen an. Der Wohnungsbau soll verstärkt, die Arbeitszeit weiter verkürzt, der Mindestlohn angehoben und die Familienförderung verbessert werden, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Es sei „anspornend, wenn man spürt, daß wir uns bei guter Leistung immer mehr leisten können“, stellt Erich Honecker auf dem 9. FDGB-Kongress im Mai 1977 zufrieden fest und fügt selbstbewusst hinzu: „Wir haben ein Programm des Wachstums, des Wohlstandes und der Stabilität. Dafür lohnt es sich zu arbeiten, zu kämpfen und immer neue Taten zu vollbringen.“ Harry Tisch, seit 1975 Vorsitzender des FDGB, applaudiert: „Als Organisation der machtausübenden Klasse sind die Gewerkschaften berufen, in der weiteren Etappe unserer gesellschaftlichen Entwicklung auf der Grundlage des Marxismus-Leninismus als Schulen des Sozialismus und Kommunismus, als Interessenvertreter der Arbeiterklasse und aller Werktätigen die schöpferische Aktivität, das sozialistische Arbeiten, Lernen und Leben der Millionen Gewerkschafter so zu entfalten, daß die Ideen von Marx, Engels und Lenin das Leben in unserem schönen Land immer mehr prägen und ihre Vollendung finden.“ 

Doch daraus wird nichts. Anfang der 1980er Jahre rutscht die DDR in eine Wirtschaftskrise, die Stimmung in der Bevölkerung kippt. Nicht nur, weil der Lebensstandard sich kaum noch verbessert und immer deutlicher hinter der Entwicklung im „Westen“ zurückbleibt, sondern auch weil die Menschen die Bevormundung satthaben und endlich mitreden wollen. Immer mehr junge Leute engagieren sich in der Umwelt-, Frauen- und Friedensbewegung, trotz des Risikos, von der Stasi verhaftet zu werden. Viele hoffen, die seit 1985 von Michail Gorbatschow eingeleiteten Reformen in der Sowjetunion würden auch in der DDR nachvollzogen.

Der FDGB aber hält Perestroika und Glasnost für ein Zeichen der Schwäche. Mit allen Mitteln versucht er ein Übergreifen dieser Reformstimmung auf die DDR zu verhindern. Er verstärkt die ideologische Arbeit unter den Mitgliedern und schwört der SED ein ums andere Mal die Treue. Auf dem letzten regulären SED-Parteitag im April 1987 betont Harry Tisch im Namen „Millionen parteiloser Gewerkschafter“: „Wir sind mit Dir, Partei!“ Es sei „erstes Recht und erste Pflicht […], unter der Führung der Partei weiterhin alles zu tun für Sozialismus und Frieden, für die weitere Stärkung unseres sozialistischen Staates. Das ist und bleibt unser gewerkschaftliches Lebensgesetz.“

Auflösung des FDGB

Kaum zwei Jahre später ist der FDGB am Ende. Wenige Tage nach der Entmachtung Erich Honeckers tritt Harry Tisch am 3. November 1989 zurück, kurz darauf wird er wegen „finanzieller Unregelmäßigkeiten“ verhaftet. Seine Nachfolgerin Annelies Kimmel, die zuvor den Ost-Berliner FDGB geleitet hat, stellt Reformen in Aussicht. Der FDGB soll sich aus der Abhängigkeit von der SED lösen. Die Weichen dafür sollen auf einem Außerordentlichen Kongress Ende Januar 1990 gestellt werden.

Doch der FDGB wird von den politischen Ereignissen überrollt. Zwar findet der Außerordentliche Kongress statt, eine neue Satzung, ein Vorschlag für die Änderung der Gewerkschaftsartikel 44 und 45 in der Verfassung und für ein Gewerkschaftsgesetz werden beschlossen. Doch die Reformen kommen zu spät. Die Abstimmung mit den Füßen hat längst begonnen. Bis zum Januar 1990 verliert der FDGB rund 800.000 Mitglieder. Viele, die ihre Mitgliedschaft noch nicht aufgeben wollen, stellen die Zahlung der Beiträge ein. Die alten, mit der SED verbundenen Betriebsgewerkschaftsleitungen lösen sich auf. In einer Reihe von Unternehmen werden die Betriebsräte wiederbelebt.

Der Zweifel, an der Reformfähigkeit des FDGB, ist groß. Schon im Dezember entwickeln sich erste Initiativen zur Gründung unabhängiger Gewerkschaften. Und die Einzelgewerkschaften im FDGB selbst orientieren sich zunehmend gen Westen. Sie nehmen Kontakt zu den entsprechenden DGB-Gewerkschaften auf, um die Möglichkeiten eines Zusammenschlusses auszuloten.

Einfach ist der Weg zu einer einheitlichen deutschen Gewerkschaftsbewegung nicht. Der DGB lehnt eine Fusion mit dem FDGB ab. Daraufhin wird der FDGB-Vorstand aufgelöst, die Einzelgewerkschaften Ost schließen sich zu einem vorläufigen Dachverband zusammen. Der Weg für die Vereinigung der Gewerkschaften unter dem Dach des DGB ist frei.

Am 14. September 1990 tagt der Auflösungskongress. Er beendet – bei zwei Gegenstimmen – die Geschichte des FDGB.

Autorenkollektiv, geleitet von Heinz Deutschland, Geschichte des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes, Berlin (DDR) 1982

Bednarek, Horst (Hrsg.), Der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund. Seine Rechte und Leistungen, Tatsachen, Erfahrungen, Standpunkte (1945-1990), Berlin 2006

Dowe, Dieter u. Michael Kubina (Hrsg.), FDGB-Lexikon. Funktion, Struktur, Kader und Entwicklung einer Massenorganisation der SED (1945-1990), Berlin 2009

Fichter, Michael u. Stefan Lutz, Gewerkschaftsaufbau in den neuen Bundesländern. Eine Chronik der Ereignisse 1889-1991 mit Dokumentenanhang (= Berliner Arbeitshefte und Berichte zur sozialwissenschaftlichen Forschung, Nr. 64), Oktober 1991

Gill, Ulrich, FDGB. Die DDR-Gewerkschaft von 1945 bis zu ihrer Auflösung 1990, Köln 1991

Hübner, Peter, Arbeit, Arbeiter und Technik in der DDR 1971 bis 1989. Zwischen Fordismus und digitaler Revolution (= Geschichte der Arbeiter und der Arbeiterbewegung in Deutschland seit dem Ende des 18. Jahrhunderts, Bd. 15), Bonn 2014

Hübner, Peter u. Klaus Tenfelde (Hrsg.), Arbeiter in der SBZ-DDR, Essen 1999

Hübner, Peter, Christoph Kleßmann u. Klaus Tenfelde (Hrsg.), Arbeiter im Staatssozialismus. Ideologischer Anspruch und soziale Wirklichkeit, Köln 2005

Kuba, Karlheinz, Chronik des FDGB. Die Schlussphase des FDGB und die Schaffung von Strukturen des DGB im Osten Deutschlands 1987 bis 1991, Berlin 2013

Link, Franz Josef, Lohnpolitik in Ostdeutschland aus ökonomischer und sozialer Perspektive, Köln 1993

Pirker, Theo, Hans-Hermann Hertle, Jürgen Kädtler u. Rainer Weinert, FDGB – Wende zum Ende. Auf dem Weg zu unabhängigen Gewerkschaften?, Köln 1990