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Auswirkungen der Konzertierten Aktion: Moderate Lohnabschlüsse
Die personelle Verflechtung und die politische Nähe von Gewerkschafts- und SPD-Führung führen in der zweiten Hälfte der 1960er zu einer – nicht erstaunlichen – tarifpolitischen Zurückhaltung der Gewerkschaften.
Angesichts der wirtschaftlichen Rezession halten sie sich mit hohen Lohnforderungen zurück. Sie setzen auf die schrittweise Durchsetzung der 40-Stunden-Woche, deren Kosten auf die Lohnzuwachsraten angerechnet werden. Auch lassen sie – entgegen ihren öffentlichen Bekundungen – in den Tarifverhandlungen durchaus die Bereitschaft erkennen, die regierungsamtlichen „Lohnleitlinien“ zu berücksichtigen.
Ein Blick auf die Tarifabschlüsse 1967 und 1968 zeigt, so der DGB selbst, „das einsichtige Verhalten der Gewerkschaften eindeutig auf”. Zwar werden auch in diesen Jahren nominale Lohnsteigerungen ausgehandelt, doch die Reallöhne fallen 1967 um 1,6 und 1968 um 1,0 Prozent.
Spontane Streiks im September 1969
Diese Zurückhaltung führt zu Vertrauensverlusten bei Teilen der Mitglieder. Er entlädt sich angesichts schnell steigender Unternehmensgewinne und stagnierender Reallöhne in den „wilden” Streiks vom September 1969. Anlass der spontanen Streiks ist die Zusammenlegung der Dortmund-Hörder-Hütten-Union mit der Hoesch AG Dortmund zum 1. Oktober 1969. Dadurch werden innerbetriebliche Lohn- und Gehaltsanpassungen nötig. Um eine sofortige Erhöhung der Löhne durchzusetzen, legen die Arbeiter der Hoesch AG Hüttenwerke in Dortmund am 2. September die Arbeit nieder. Die Arbeitgeber lenken schnell ein und erhöhen die Stundenlöhne um 30 Pfennige. Nur einen Tag später ist der Ausstand beendet.
Doch der Unmut bleibt. Angesichts der Gewinnexplosion 1968/69 springt der Funke auf andere Betriebe der Eisen- und Stahlindustrie, der Steinkohlenförderung, der Metallindustrie, der Textilindustrie und des öffentlichen Dienstes über. Anfang September 1969 werden allein in der Eisen- und Stahlindustrie 230.000 Streiktage und im Steinkohlenbergbau 49.000 Ausfallschichten gezählt. In allen Fällen gelingt es den Streikenden binnen kürzester Zeit, Lohnerhöhungen durchzusetzen – ohne die Gewerkschaften und jenseits der Vereinbarungen in den Tarifverträgen.
Die Gewerkschaften haben sich zwar auch bemüht, durch vorgezogene Tarifverhandlungen die Löhne anzuheben. Ohne Erfolg. Erst die spontanen Streiks verleihen den Tarifbemühungen der Gewerkschaften Nachdruck. Plötzlich können sie nicht nur deutliche Lohnsteigerungen, sondern auch Tarifverträge mit kürzerer Laufzeit durchsetzen.
Tarifpolitische Offensive 1971
Anfang der 1970er Jahre verhärten sich die Fronten wieder: Angesichts der Inflation werden die Lohnforderungen der Arbeitnehmer höher. Gleichzeitig drängen die Arbeitgeber wegen der angeblichen Exportrisiken auf niedrige Lohnerhöhungen. 1971 prallen diese Gegensätze aufeinander. Die Tarifverhandlungen von IG Metall Baden-Württemberg und Gesamtmetall scheitern, der Schlichterspruch wird von den Arbeitgebern abgelehnt. Ein langer Arbeitskampf mit „Schwerpunktstreiks“ und Aussperrung führt endlich zu einer Einigung, mit der beide Seiten leben können.
Bilanz der Tarifpolitik
Die Bilanz der gewerkschaftlichen Tarifpolitik zu Beginn der 1970er Jahre ist eindrucksvoll. Im Bemühen, den mit den „wilden” Streiks 1969 deutlich gewordenen Vertrauensverlust wettzumachen, fordern die Gewerkschaften Anfang der 1970er Jahre Lohnerhöhungen oberhalb von 10 Prozent. Und es gelingt ihnen, in mehreren Branchen Lohnerhöhungen dieser Größenordnung durchzusetzen. Auffallend ist, dass angesichts sich abzeichnender wirtschaftlicher Schwierigkeiten die Gewerkschaft ÖTV erstmals eine Schrittmacherfunktion übernimmt, etwa durch die 1974 mit Streik durchgesetzte Lohnerhöhung von 11 Prozent. Die IG Metall-Abschlüsse folgen dann mit gut 12 Prozent. Trotz der deutlichen Steigerung der tariflichen Nominallöhne zu Anfang der 1970er Jahre liegen die Effektivlöhne vielfach noch höher. Die DGB-Gewerkschaften beschließen deshalb 1975 auf ihrem Kongress in Hamburg, sich zukünftig stärker für eine Sicherung der Effektivlöhne einzusetzen.
Dank der Kampfbereitschaft der Mitglieder und der wieder positiven Konjunkturentwicklung gelingt es den Gewerkschaften, die Situation der Arbeitnehmer zu verbessern: Die Reallöhne steigen um 1,4 Prozent im Jahr 1969 und 5,5 Prozent im Jahr 1970. Auch in den folgenden Jahren können immer noch leichte Erhöhungen des Realeinkommens erzielt werden. Im Jahr 1973 liegt der Zuwachs bei 3,0 Prozent. Der Anteil der Bruttoeinkommen aus unselbstständiger Arbeit am Volkseinkommen steigt langsam von 53,6 Prozent im Jahr 1968 auf 56,6 Prozent im Jahr 1973.
Aber nicht nur um die Lohnhöhe wird gestritten. Angesichts der zunehmenden Verdichtung der Arbeit, der voranschreitenden Ausdehnung von Nacht- und Schichtarbeit und des beschleunigten Arbeitstempos rücken die Themen „Humanisierung der Arbeitswelt” und „Rationalisierungsschutz” in den Mittelpunkt gewerkschaftlicher Tarifpolitik.
Humanisierung der Arbeitswelt
Schon Ende der 1960er Jahre warnen die Gewerkschaften vor den Gefahren einer ungezügelten technischen Entwicklung. Seit dieser Zeit werden verstärkt tarifliche Rationalisierungsschutzabkommen abgeschlossen. Vorreiter sind die IG Metall und die IG Chemie, Papier, Keramik. Zwar ist die Forderung nach Rationalisierungsschutz im Aktionsprogramm 1965 an den Gesetzgeber gerichtet worden, doch angesichts der begrenzten Erfolge derartiger Bemühungen, etwa mit dem Arbeitsförderungsgesetz (1969), konzentrieren sich die Gewerkschaften verstärkt auf die tarifliche Durchsetzung dieses Ziels.
So wird im Lohnrahmentarifvertrag II für die Metallindustrie Nordwürttemberg/ Nordbaden vom Oktober 1973 nach zweiwöchigen Streiks von etwa 57.000 Arbeitnehmern bei Bosch und Daimler-Benz ein Tarifvertrag abgeschlossen, in dem nicht nur die betrieblichen Vorgaben für den Arbeitsprozess (z. B. die Taktzeiten) begrenzt, sondern vor allen Dingen verbesserte Pausenregelungen eingeführt werden. Danach hat jeder Akkord- und Prämienarbeiter pro Arbeitsstunde einen Anspruch auf fünf Minuten Erholungszeit und drei Minuten persönliche Zeit, für die der jeweilige Durchschnittslohn gezahlt wird.
Vermögensbildung
Konsumorientierung und Verbesserung des Lebensstandards prägen auch die Nach-Wirtschaftswunder-Zeit. Eine gerechtere Verteilung des Besitzes an Produktivvermögen ist damit nicht verbunden: Anfang der 1970er Jahre besitzen 1,7 Prozent aller Haushalte 74 Prozent des privaten Produktivvermögens.
Ziel des DGB ist es, dies zu ändern. Mit der Erklärung des Bundesvorstandes vom Oktober 1968 zur Vermögensbildung wird erstmals zwischen der Sparförderung einerseits und einer Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivvermögen andererseits unterschieden. Mit den „DGB-Leitlinien für die Vermögensbildung” werden diese Überlegungen im März 1970 konkretisiert. Sparförderungsmaßnahmen werden zwar gebilligt, allerdings glauben die Gewerkschaften nicht, dass dadurch eine wirkliche Umverteilung des Vermögens möglich ist. Sie setzen daher darauf, eine Vermögensbildung durch Sparförderung und durch die Beteiligung der Arbeitnehmer am Ertrag des Unternehmens zu erreichen. Der Vorschlag einiger Gewerkschaften: Die Unternehmen sollen Teile des Gewinns an Fonds abführen und dafür Beteiligungszertifikate an die Arbeitnehmer ausgeben. Doch der auf dieser Basis ausgearbeitete Resolutions-Entwurf für den 9. DGB-Bundeskongress 1972 wird abgelehnt. Damit setzt sich die IG Metall durch. Sie gibt einer aktiven Lohntarifpolitik den Vorrang. Aus ihrer Sicht schmälern Vermögensbildungs-Fonds das verfügbare Einkommen der Arbeitnehmer zu Gunsten von nicht sofort verwertbaren Vermögensanteilscheinen.
Der Bundesausschuss des DGB legt am 4. April 1973 mit knapper Mehrheit ein neues Papier vor, in dem es um die Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivvermögen geht. Ausgehend von der Erkenntnis, dass vermögenswirksame Tarifverträge, Sparleistungen und Investivlöhne keine Umverteilung bewirken und dass betriebliche Beteiligungspläne die Mobilität der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer hemmen, sollen regionale Fonds eingeführt werden. Die Unternehmen sollen einen Teil ihres Gewinns in diese Fonds einzahlen, Arbeitnehmer werden über diese Fonds an den Gewinnen beteiligt.
Eine ernsthafte Debatte über dieses Modell findet nicht statt.
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