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Plakat zum 1. Mai 1937, 1938 und 1939

Nazis passen die Sozialstrukturen an: Organisationen der Nationalsozialisten

Binnen kürzester Zeit versuchen die nationalsozialistischen Machthaber eine ihrer Ideologie gehorchende Sozialordnung aufzubauen, in der eine unabhängige und selbstbestimmte Interessenvertretung der Arbeitnehmer keinen Platz hat. Wer geglaubt hat, angesichts der gewerkschaftsfeindlichen Propaganda der Nationalsozialisten müsse zwar mit Behinderungen, jedoch nicht mit einer Zerschlagung der Gewerkschaften gerechnet werden, sieht sich getäuscht.

Die Annahme, ein Industriestaat könne keinesfalls auf Gewerkschaften als Vertretungs- und Integrationsorganisation der Arbeitnehmerschaft verzichten, erweist sich als Illusion. Den Platz der Gewerkschaften soll die Deutsche Arbeitsfront (DAF) einnehmen, die indessen ihre Position zunächst einmal von der Nationalsozialistischen Betriebszellenorganisation (NSBO) bedroht sieht.

Die Nationalsozialistische Betriebszellenorganisation (NSBO)

Die nach dem Vorbild der kommunistischen RGO gebildete NSBO hat sich, von Berlin ausgehend, seit 1928 in den großen Industriegebieten Deutschlands ausgebreitet. Im Dezember 1932 zählen die Nationalsozialistischen Betriebszellen rund 170.000 Mitglieder. Die Angehörigen der NSBO bleiben oftmals zugleich in den Gewerkschaften, um für den Streikfall finanziell abgesichert zu sein.

Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme steigt die Zahl der NSBO-Mitglieder bis Mai 1933 sprunghaft auf etwa 700.000 an. Nicht zuletzt dieser Massenzulauf bestärkt die NSBO-Führung in der Erwartung, sie werde das Erbe der Gewerkschaften antreten. Von daher ist die NSBO als populistische Basisbewegung, die durchaus Massenrückhalt hat, zunächst ein ernst zu nehmender Rivale der DAF. Doch bald übernimmt die DAF die wichtigsten Aufgaben der NSBO. Da sich nicht alle NSBO-Funktionäre damit zufrieden geben, nur noch als Mitgliederwerber für die DAF aufzutreten, sondern immer wieder versuchen, eine eigenständige Arbeitnehmerpolitik zu formulieren, wird die NSBO nach einer ersten „Generalsäuberung” im Herbst 1933 nur wenig später, im Sommer 1934, politisch ausgeschaltet.

Die Deutsche Arbeitsfront (DAF)

Die DAF soll nach den Bekundungen ihrer Gründer vom Mai 1933 zwar als Gewerkschaftsersatz dienen, doch da sie in der im November 1933 realisierten Form alle Berufstätigen ohne Unterschied ihrer wirtschaftlichen und sozialen Stellung, also Arbeitnehmer und Arbeitgeber organisiert, trägt sie den Stempel der „Volksgemeinschafts“-Ideologie. Überdies ist die DAF eine Institution der NSDAP, das heißt, sie ist – nach den Worten Robert Leys, des Vorsitzenden der DAF – „allein abhängig von dem Willen und der Führung der NSDAP”. Die DAF ist also weder eine Gewerkschaft noch eine Ersatz-Gewerkschaft, sondern eine nationalsozialistische Organisation zur Mobilisierung der Arbeitnehmerschaft für die Ziele der NS-Politik.

Die DAF ist eine finanzstarke Organisation: Sie übernimmt nicht nur das Vermögen der Gewerkschaften, sondern die zur Mitgliedschaft genötigten Arbeitnehmer müssen 1,5 Prozent des Lohnes bzw. Gehaltes als Beitrag zahlen. Bei etwa 30 Millionen Mitgliedern im Jahre 1939 – etwa 10 Prozent der Beschäftigten können sich der DAF entziehen – kommt eine große Summe zusammen.

Da die DAF keine Funktion als Tarifkontrahent hat, können die Einnahmen, die auch durch Wirtschaftsbetriebe der DAF erzielt werden, vor allem zur Unterstützung der betrieblichen Sozialpolitik und für die Freizeit-Organisation „Kraft durch Freude” ausgegeben werden. Zwar versucht Robert Ley immer wieder, das Einflussfeld der DAF z. B. durch Vorschläge zur Neuordnung der Sozialversicherung und auch durch Eingriffe in innerbetriebliche Konflikte auszuweiten, doch die DAF bleibt vor allem ein Erziehungs- und Werbemittel des nationalsozialistischen Staates, der damit seine Wertschätzung für die „Arbeiter der Stirn und Faust” propagiert.

Dabei kann es keinen Zweifel an der Zielrichtung geben: Unter dem programmatischen Titel „Wir alle helfen dem Führer” stellt Robert Ley 1937 klar: „Was Deutschland nützt, das ist recht, was Deutschland schadet, das ist unrecht.” Ein Jahr später werden die Arbeitnehmer auf ihre Rolle als „Soldaten der Arbeit” eingeschworen: „Wenn du schläfst, ist es deine Privatsache, sobald du aber wach bist und mit einem anderen Menschen in Berührung kommst, mußt du eingedenk sein, daß du ein Soldat Adolf Hitlers bist und nach einem Reglement zu leben hast und zu exerzieren.”

Die Militarisierung der Arbeit, die Einordnung des „Arbeitseinsatzes” des „Soldaten der Arbeit” in die „Arbeitsschlacht” ist nicht nur eine rhetorische Phrase. Mit der fortschreitenden „Bändigung” oder besser „Neutralisierung” der Arbeiterschaft von der politischen Entrechtung bis hin zur Einführung der Arbeitsverpflichtung (1938) dient die Propaganda zugleich der Vorbereitung auf den Krieg, der von Anfang an das zentrale Ziel Hitlers ist.

An die christliche Arbeiterschaft, in: Zentralblatt Nr. 4 vom 15.2.1933, S. 37

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