Quelle: AdsD
2. Mai 1933: Die Zerschlagung der Gewerkschaften
Ein Aufruf zur Besonnenheit: „Organisation – nicht Demonstration: Das ist die Parole der Stunde”. So bringt Theodor Leipart am 31. Januar 1933 im Bundesausschuss des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes (ADGB) die Politik der Freien Gewerkschaften auf den Punkt. Der Vorstand der Christlichen Gewerkschaften bedauert die „folgenschwere Entscheidung” Reichspräsident Hindenburgs, das „Kabinett der Harzburger Front” unter der Führung Hitlers zu bestätigen. In einer gemeinsamen Erklärung stellen die Gewerkschaften fest: „Um Angriffe gegen Verfassung und Volksrechte im Ernstfall wirksam abzuwehren, ist kühles Blut und Besonnenheit erstes Gebot. Laßt euch nicht zu voreiligen und darum schädlichen Einzelaktionen verleiten.”
Mit diesen Mahnungen zur Disziplin soll dem Aufruf der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) zum Generalstreik der Wind aus den Segeln genommen werden. Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) und Freie Gewerkschaften lehnen die kommunistische Forderung nach Bildung einer „Einheitsfront“ nahezu einmütig ab. Sie sehen darin den Versuch, die sozialdemokratische Arbeiterschaft von ihren Organisationen zu entfremden. Allerdings wäre der Aufruf zum Generalstreik wohl auch ohne die gewerkschaftliche Zurückhaltung nur vereinzelt befolgt worden.
Warum sich die Freien Gewerkschaften entschieden von den „unentwegten Generalstreiktheoretikern” abgrenzen, begründet der stellvertretende ADGB-Vorsitzende, Peter Graßmann, beim Führerappell der Eisernen Front, eines Zusammenschlusses sozialdemokratischer Organisationen, am 13. Februar 1933, so: „Der Generalstreik ist eine furchtbare Waffe nicht nur für den Gegner; ihn veranlassen und verantworten kann man nur, wenn es gar nicht mehr anders geht, wenn es sich um Leben und Sterben der Arbeiterklasse handelt.”
Offenbar schätzen die Führungen von SPD und Gewerkschaften die Lage im Frühjahr 1933 nicht als derart dramatisch ein, dass die von Graßmann genannten Voraussetzungen für einen Generalstreik gegeben seien. Und sie sehen keine realistische Möglichkeit, das nationalsozialistische Regime erfolgreich zu bekämpfen.
Spaltung der Arbeiterbewegung
Außerdem ist die Arbeiterbewegung keineswegs zu geschlossenem Handeln fähig. So zeigen sich deutliche Polarisierungstendenzen in der Gewerkschaftsbewegung: Die gemeinsame Stellungnahme der Richtungsgewerkschaften zu Hitlers Regierungsantritt unterzeichnen der ADGB und die Arbeitsgemeinschaft freier Angestelltenverbände (AfA-Bund), der liberale Gewerkschaftsring deutscher Arbeiter-, Angestellten- und Beamtenverbände und der Gesamtverband der christlichen Gewerkschaften.
Nicht unterzeichnet wird die Stellungnahme vom christlich-nationalen Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB). Der Deutschnationale Handlungsgehilfenverband (DHV), der Hitler zur Ernennung als Reichskanzler gratuliert, verhindert eine kritische Stellungnahme des DGB. Wenige Wochen später schaltet sich der DHV freiwillig gleich. Bereits im April 1933 ist der christlich-nationale DGB damit organisatorisch zerbrochen.
Die tiefe Spaltung zwischen Kommunisten und Sozialdemokraten wird nicht überwunden. Die Revolutionäre Gewerkschaftsopposition (RGO) beharrt auf ihrem eigenen Weg, der aufs engste mit der Politik der KPD verwoben ist. Obwohl die Mitgliedschaft dramatisch zurückgeht und nicht wenige RGO-Mitglieder zur Nationalsozialistischen Betriebszellen-Organisation (NSBO) übertreten, versucht die RGO immer wieder eine Organisation im Untergrund aufzubauen.
Zur Anpassung bereit
Noch im Februar und März 1933 versuchen sich die Freien Gewerkschaften, sich als „Schule der Verantwortung” für ein Volk, das sich seines „Rechts auf nationale Selbstbestimmung” bewusst ist, zu inszenieren. Sie hoffen, die Nationalsozialisten würden diese Anpassungsbereitschaft honorieren. Mit diesem Ziel ruft Theodor Leipart die „Leistungen der Gewerkschaften für Volk und Staat” in Erinnerung. Und Lothar Erdmann, Chefredakteur der „Arbeit” und Vertrauter Leiparts, bemüht sich, durch die Ablehnung internationalistischer Tendenzen zur ideologischen Versöhnung von „Nation, Gewerkschaften und Sozialismus” beizutragen.
Von ihrer Politik des „kühlen Bluts” lassen sich die Gewerkschaften auch nicht durch den Reichstagsbrand am 27. Februar 1933 abbringen. Er sei ein „Angriff gegen den Parlamentarismus überhaupt”, erklären die Freien Gewerkschaften.
Auf den gewerkschaftlichen Kundgebungen dieser Wochen ist dennoch viel von „Kampf” und „Kampfbereitschaft” die Rede. Doch gedacht ist, trotz der Einschränkung der Grundrechte durch die „Verordnung zum Schutze von Volk und Staat“, vor allem an „Wahlkampf”. Einmal mehr setzen die Gewerkschaften, auch die Christlichen, alle Hoffnungen auf das Votum der Wähler.
Erste Terroraktionen gegen die Gewerkschaften
In den Wahlen vom 5. März 1933 verfehlt die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) zwar die absolute Mehrheit, kann aber nach deutlichen Zugewinnen die Koalitionsregierung fortführen. Die Gewerkschaften müssen erkennen, dass Hitlers Regierung nicht nur ein kurzes Zwischenspiel ist. Dennoch überwiegt noch immer die Hoffnung, es werde schon nicht so „schlimm” kommen – jedenfalls nicht schlimmer als unter dem Sozialistengesetz (1878).
Was für eine Feheinschätzung: Noch im März kommt es zu blutigen Terroranschlägen gegen die Gewerkschaften. Allein am 13. März gehen beim ADGB-Vorstand Schreckensmeldungen aus über 20 Orten ein.
Ein Umdenken bewirken die Überfälle und Gewalttaten nicht. Die Proteste sind zaghaft, Beschwerden zum Beispiel bei Reichspräsident Hindenburg sind eher von vorwurfsvollen Unschuldsbeteuerungen geprägt. Gleichzeitig unterstreichen die Gewerkschaften immer wieder ihre Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit der Regierung, wenn diese das „Fußvolk” im Zaum hielte.
Die Anpassungsbereitschaft der Gewerkschaften geht bis an den Rand der Selbstaufgabe: Am 21. März 1933 erkennt der ADGB-Vorstand schließlich das „Recht des Staates” an, „in die Auseinandersetzungen zwischen organisierter Arbeiterschaft und Unternehmertum einzugreifen, wenn das Allgemeininteresse es erforderlich macht”. Eine „staatliche Aufsicht” über die „Gemeinschaftsarbeit der freien Organisation der Wirtschaft könnte unter Umständen durchaus förderlich sein, ihren Wert erhöhen und ihre Durchführung erleichtern”. Auch die „Form der Organisation” wird hier zur Disposition gestellt; denn „über der Form der Organisation steht die Wahrung der Arbeiterinteressen”.
Noch deutlicher stellen sich die christlich-nationalen Gewerkschaften in den Dienst des neuen Staates. „Was morsch war, ist gefallen. Und eine Welle junger Kraft hat Deutschland überspült.” – so begrüßen sie diese „Revolution”. Auf der Vorstands- und Ausschuss-Sitzung vom 16. und 17. März 1933 bekunden die Christlichen Gewerkschaften ihre Bereitschaft zur Mitarbeit im „neuen Staat”. Und mit dem „Essener Programm” zum Aufbau einer berufsständischen Ordnung stellen sie sich, so Bernhard Otte, der Vorsitzende des Gesamtverbandes der christlichen Gewerkschaften, „bewußt in den Dienst der großen Sache”.
Der ADGB-Bundesvorstand folgt dem Beispiel der Christlichen Gewerkschaften. Am 9. April erklärt er sich bereit, „die von den Gewerkschaften in jahrzehntelanger Wirksamkeit geschaffene Selbstverwaltungsorganisation der Arbeiterschaft in den Dienst des neuen Staates zu stellen”. Der ADGB empfiehlt, die Gewerkschaftsbewegung einem Reichskommissar zu unterstellen. Und am 13. April diskutieren Leipart, Graßmann und Wilhelm Leuschner mit Vertretern der NSBO die zukünftige Organisationsform der Gewerkschaftsbewegung. Erst mit dem ultimativen Ansinnen der NSBO-Vertreter, Leipart solle seinen Posten an einen Nationalsozialisten übergeben, ist die Grenze der gewerkschaftlichen Anpassungsbereitschaft erreicht: Leipart beharrt darauf, die Führung der Gewerkschaften werde durch die Delegierten bestimmt.
Die Betriebsrätewahlen des Frühjahrs 1933 sind vielleicht ein schwacher Hoffnungsschimmer. Das nationalsozialistische Regime bricht die Wahlen ab, weil sie nicht das gewünschte Ergebnis bringen. Die Wahl von gut 9.000 Betriebsräten zeigt, dass die Treue zu den schwer angeschlagenen Gewerkschaften auch Ende April noch anhält. Die Freien Gewerkschaften erhalten 73,4, die Christlichen Gewerkschaften 7,6, die Hirsch-Dunckerschen Gewerkvereine 0,6 und die RGO 4,9 Prozent der Mandate.
Die NSBO kommt „nur” auf einen Anteil von 11,7 Prozent. Dieses Ergebnis mag die nationalsozialistische Führung zu dem Schluss veranlasst haben, dass die gesellschaftliche Neuordnung nur zu realisieren ist, wenn die Gewerkschaften endgültig zerschlagen werden.
Es ist Fünf vor Zwölf als die Gewerkschaften sich bemühen, eine einheitliche Gewerkschaftsbewegung zu schaffen. Ende April 1933 wird der „Führerkreis der vereinigten Gewerkschaften” gebildet. Doch es ist alles andere als „Aktionsbündnis”. Vielmehr sind die Verhandlungen erneut Ausdruck der Bemühungen, den gewerkschaftlichen Organisationen in neuer, entpolitisierter Form das Überleben zu sichern. Das Programm dieses Zusammenschlusses der Freien, Christlichen und Hirsch-Dunckerschen Gewerkschaften ist geprägt von der Bereitschaft, aktiv an der Neuordnung des wirtschaftlichen und sozialen Lebens mitzuwirken. Es ist eher ein notdürftig zusammengefügtes Dach als ein tragfähiges Fundament für eine Einheitsgewerkschaft.
Beschluss des „Führerkreises der vereinigten Gewerkschaften“ vom 28. April 1933 (pdf)
Höhe- und zugleich Schlusspunkte der gewerkschaftlichen Anpassungspolitik sind die Aufrufe zum 1. Mai 1933, den die Regierung – in Verfälschung der Tradition der internationalen Arbeiterbewegung – zum „Tag der nationalen Arbeit” erklärt. Der Bundesvorstand des ADGB begrüßt am 15. April die Feiertagsregelung und unterstützt im Grunde die volksgemeinschaftliche Umdeutung der 1. Mai-Feier. Er erinnert daran, dass am Tage des 1. Mai „stets erneut das Bekenntnis der von leidenschaftlichem Kulturwillen beseelten deutschen Arbeiter [erglühte], den werktätigen Menschen einem dumpfen Arbeitsdasein zu entreißen und ihn als freie, selbstbewußte Persönlichkeit in die Gemeinschaft des Volkes einzuordnen”.
Während der Bundesvorstand des ADGB die Teilnahme an den staatlich verordneten Maifeiern freistellt, ruft der Bundesausschuss am 19. April schließlich zur Beteiligung auf. Auch der Vorstand der Christlichen Gewerkschaften, der den Maifeiertag zuvor nicht gerade geschätzt hat, begrüßt ihn nun als Zeichen dafür, „daß sich die Regierung Hitler zum sozialen deutschen Volkstum bekennt”.
Stellungnahmen des ADGB zum 1. Mai 1933 (pdf)
Am 2. Mai, einen Tag nach den von den Nationalsozialisten initiierten Kundgebungen zum „Tag der nationalen Arbeit“, an dem so mancher Gewerkschafter teilgenommen hat, werden die Gewerkschaften von der Wirklichkeit eingeholt: Mit einem Schlag werden alle wichtigen Gebäude des ADGB und der Einzelgewerkschaften von SA- und SS-Trupps besetzt.
Am 3. Mai unterstellen sich die anderen Richtungsgewerkschaften dem „Aktionskomitee zum Schutze der deutschen Arbeit”. Das ist das Ende der Gewerkschaftsbewegung. Die Politik der Anbiederung an die neuen Machthaber hat die Auflösung der Gewerkschaften nicht verhindert.
In den folgenden Monaten und Jahren werden tausende Gewerkschafter verhaftet, gefoltert und ermordet.
Nach der Zerschlagung der Freien Gewerkschaften am 2. Mai 1933 und der „Gleichschaltung“ der anderen Richtungsgewerkschaften einen Tag später übernimmt die Deutsche Arbeitsfront (DAF) Häuser und Vermögen der Gewerkschaften. Die Arbeiterbank geht in der Bank der Deutschen Arbeit AG auf. Die Versicherungsunternehmen, die Volksfürsorge der Freien Gewerkschaften und der Deutsche Ring des Deutschnationalen Handlungsgehilfenverbandes bilden den Grundstock der DAF-Versicherungsunternehmen. Außerdem eignet sich die DAF rund 40 gemeinnützige Wohnungs- und Siedlungsgesellschaften an. Die meisten dieser Gesellschaften werden in Regionalunternehmen unter dem Namen „Neue Heimat“ überführt.
Die genossenschaftlichen Wohnungsbaugesellschaften und auch die Konsumgenossenschaften, die zunächst weiterhin bestehen, passen sich an: Sie erklären ihre „politische Neutralität“ und verleugnen damit ihre Zugehörigkeit zur „klassischen“ Arbeiterbewegung. Die Anpassung geht so weit, dass sie für Zustimmung zur Politik Hitlers werben und sich damit in den „neuen Staat“ einordnen.
Dennoch bilden die genossenschaftlichen Unternehmen weiterhin „Nischen“ im nationalsozialistischen Regime, in denen manche ehemaligen Funktionäre der Arbeiterorganisationen, eben auch der Gewerkschaften, „überwintern“ und wohl auch verdeckte Kontakte zueinander aufrecht erhalten können. 1941 werden die Konsumgenossenschaften als Teil des „Deutschen Gemeinschaftswerkes“ von der DAF übernommen.
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