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BIld zeigt eine Demonstration der Eiserne Front

Protestzüge und Streikaktionen: Debatte um den Generalstreik 1933

Werben insbesondere die Vorstände von SPD und Gewerkschaften zu Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft für Besonnenheit und Disziplin, so bedeutet das doch keine Demonstrations-Abstinenz. Schon bevor sie zu zentralen Großkundgebungen aufrufen, kommt es in einer ganzen Reihe von Städten und kleineren Orten zu Protestzügen und Streikaktionen.

Oftmals rufen die örtlichen KPD-Führungen, vielfach auch die Ortsvorstände der SPD und der Freien Gewerkschaften dazu auf. Zwar gibt es in einzelnen Städten gemeinsame Aktionen von Sozialdemokraten und Kommunisten. Doch ein derartig abgestimmtes Vorgehen bleibt eine Ausnahme, die beiden stärksten Flügel der Arbeiterbewegung rufen meist zu getrennten Protestaktionen auf. Zu dem von den Kommunisten geforderten Generalstreik kommt es nicht.

Die Argumente der Gegner

Betrachten wir die Überlegungen derjenigen, die zu einer Politik des „kühlen Blutes“ raten: Maßgeblich sind die Argumente, die Rudolf Breitscheid, der Vorsitzende der SPD-Reichstagsfraktion, in der Sitzung des Parteiausschusses mit Vertretern der Reichstagsfraktion und des Bundesausschusses des ADGB am 31. Januar 1933 vorträgt: „Wenn Hitler sich zumindest auf dem Boden der Verfassung hält, und mag das hundertmal Heuchelei sein, wäre es falsch, wenn wir ihm den Anlaß geben, die Verfassung zu brechen [...].“

Außerdem sei ein befristeter Generalstreik aus zwei Gründen abzulehnen: Nach dem Ende des Streiks kehren die Arbeiter in die Betriebe zurück, „und Hitler wird sagen, das Schlimmste ist überstanden. Die größere Gefahr wäre die, wir und die Gewerkschaften geben die Parole aus: Zurück in die Betriebe, und die Kommunisten fallen uns in den Rücken und sagen, hier muß die Revolution weitergetrieben werden, daß ein Teil unserer Anhänger sich dadurch beeinflussen läßt und daß dann eine Bewegung entsteht, die von der Staatsmacht zusammen mit der Reichswehr im Blute der Arbeiter erstickt wird.“

Nicht viel anders ist die Position, die Theodor Leipart, der Vorsitzende des ADGB, am 31. Januar im Bundesausschuss auf folgende Formel bringt: „Organisation, nicht Demonstration, das ist die Parole der Stunde.“ Die „Gewerkschafts-Zeitung“ meint dazu: „Daß die deutsche Arbeiterschaft, soweit sie den Geist der deutschen Arbeiterbewegung in sich aufgenommen hat und gewerkschaftlich geschult ist, sich gegen diese sozialreaktionäre Regierung am liebsten in unmittelbarer Aktion zur Wehr setzen würde, ist menschlich begreiflich, aber sachlich falsch. Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß die Gewerkschaften die Interessen der deutschen Arbeiterschaft schädigen würden, wenn sie diesen Impulsen nachgeben würden.“ Und Peter Graßmann, der stellvertretende Vorsitzende des ADGB, wendet sich wenig später gegen die „unentwegten Generalstreiktheoretiker“. Denn der „Generalstreik ist eine furchtbare Waffe nicht nur für den Gegner; ihn veranlassen und verantworten kann man nur, wenn es gar nicht mehr anders geht, wenn es sich um Leben und Sterben der Arbeiterklasse handelt.“

Bei der Bewertung dieser Aussagen muss man berücksichtigen, dass die damals politisch Handelnden im Frühjahr 1933 noch nichts von Terrorherrschaft, Vernichtungskrieg und Holocaust wissen können. Gleichzeitig ist die Lage der Gewerkschaften zu Jahresbeginn 1933 schwierig: die schleichende Aushöhlung der sozialen und politischen Errungenschaften von Revolution und Republik, die Schwächung der Arbeiterorganisationen in den Jahren der wirtschaftlichen und politischen Krise, die Massenarbeitslosigkeit und die Resignation angesichts eines als übermächtig erscheinenden Gegners, dem die Massen zuströmen, trägt mit dazu bei, dass die Gewerkschaften und die Arbeiterbewegung nahezu kampflos kapitulieren.

Dazu kommt: Die Arbeiterbewegung ist keineswegs zu geschlossenem Handeln fähig. Zu tief sind die Gräben zwischen den Hauptrichtungen der Arbeiterbewegung. Und der Ausgang einer möglichen bewaffneten Auseinandersetzung ist angesichts der Kräfteverhältnisse ungewiss.

 

Hören: Marsch der Eisernen Front gegen die Nazis

Das Bild zeigt die Demonstration der Eisernen Front im Berliner Lustgarten am 16. Dezember 1931.

© SPD/FES, Bild: Keystone

Kräfteverhältnisse

Gewiss, die Mitgliederzahlen der Arbeiterorganisationen sind eindrucksvoll: 1932 zählt die KPD 360.000 Mitglieder. Die SPD hat im Januar 1933 1 Million Mitglieder. Die Verbände des ADGB zählen Ende 1932 ca. 4 Millionen, der AfA-Bund etwa 450.000 Mitglieder. Im Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold sind 1932 2,4 Millionen Mitglieder verzeichnet.

Reichbanner und Eiserne Front erwecken überdies mit ihrem öffentlichen Auftreten den Eindruck militärischer Stärke. Zu berücksichtigen ist aber: Wegen der Doppelmitgliedschaften können die Mitgliederzahlen nicht einfach addiert werden. Fast die Hälfte aller Gewerkschaftsmitglieder und ein noch höherer Prozentsatz der Kommunisten ist arbeitslos, was die Durchschlagskraft eines etwaigen Generalstreiks von vornherein stark eingrenzt. Schließlich ist auch die Altersstruktur zu betrachten: So ist der Anteil relativ junger, körperlich einsatzfähiger und -bereiter Männer in der SA gewiss höher als in der Gewerkschafts- und SPD-Mitgliedschaft.

Diesen Mitgliedern stehen nicht nur 1,4 Millionen Mitglieder der NSDAP und ca. 430.000 SA-Männer gegenüber. Man musste auch davon, dass Polizei und Reichswehr eingreifen, sollte es wirklich zu einem Generalstreik und in seinem Gefolge zu bewaffneten Auseinandersetzungen kommen.

Dennoch werden in der KPD im Februar 1933 immer wieder Stimmen laut, die zu gewaltsamen Unruhen und dem Sturz der Regierung aufrufen – z.B. in Resolutionen des Roten Frontkämpferbundes (RFB). Außerdem beschließt das Politbüro der KPD in seiner Sitzung vom 15. Februar 1933, die kommunistischen Zellen sollen sich auf Massenaktionen vorbereiten, um die SA aus den Arbeitervierteln zu vertreiben.

Für die Sozialdemokratie steht jedoch fest, dass man es angesichts dieser Kräfteverhältnisse nicht auf eine bewaffnete Machtprobe ankommen lassen darf. Geradezu prophetisch muten die Worte des Reichsbanner-Führers Karl Höltermann auf der letzten Bundesgeneralversammlung des Reichsbanners vom 17./18. Februar 1933 an, die mit einem Massenaufmarsch im Berliner Lustgarten endet: „Regierungen kommen und gehen. [...] Nach Hitler kommen wir! Es werden wieder die deutschen Republikaner sein, die einen Scherbenhaufen aufräumen müssen. Auf diesen Tag richten wir uns ein!“ Für Höltermann ist der Kampf schon zu diesem Zeitpunkt verloren.

Fazit: Unter Berücksichtigung der realen Kräfteverhältnisse bleibt wohl kaum eine verantwortbare Alternative zur damaligen Politik: Demonstration der Gegnerschaft, aber keine konkrete Massenaktion. Dieser Devise folgten schließlich alle Organisationen der Arbeiterbewegung, die angesichts der raschen Etablierung der nationalsozialistischen Diktatur resignative Grundtöne zeigt. Diese Anpassungsbereitschaft geht soweit, dass sie schließlich zum politischem Selbstmord führte.

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