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Flugblatt der NSBO gegen SPD und Freie Gewerkschaften: „Lohnraub“, 30. Oktober 1931 und RGO-Flugblatt zur Mitgliederwerbung, um 1930

Gewerkschaften zwischen den Fronten: Angriffe von rechts wie von links

Schon nach wenigen Jahren relativer politischer und wirtschaftlicher Stabilität erlebt die Weimarer Republik eine neue schwere Krise, die den Gewerkschaften schließlich die Existenzgrundlage entzieht. Die Gewerkschaften geraten zusehends zwischen die Fronten der politischen Radikalisierung, was ihre Integrationskraft und ihre Aktionsmöglichkeiten zusätzlich einschränkt.

Außerdem werden sie mit der Konzentration der tarif- und wirtschaftspolitischen Entscheidungsvorgänge auf die politische Exekutive im Zuge der Notverordnungspolitik einmal mehr genötigt, den Schwerpunkt ihrer Arbeit auf die Politik zu verlagern, ohne dass diese Strategie jedoch von Erfolg gekrönt ist. Die Gewerkschaften können weder die Krise mit ihren katastrophalen sozialen Folgen für die Arbeitnehmerschaft noch die Machtübernahme der Nationalsozialisten und damit ihre eigene Auflösung verhindern.

Auch wenn die Weimarer Demokratie nicht an ihren objektiven wirtschaftlichen Schwierigkeiten scheitert, sondern willentlich zerstört wird, so bildet doch die Weltwirtschaftskrise den Hintergrund, der die Arbeiterbewegung schwächt und den Erfolg ihrer Gegner ermöglicht.

Hohe Mitgliederverluste

Die mit der Krise verbundene Verschlechterung der gewerkschaftlichen Handlungsbedingungen schlagen sich auch in der Entwicklung der Organisationen nieder. Die Zahl der Gewerkschaftsmitglieder geht ab 1930 zurück. Die Freien Gewerkschaften verlieren gegenüber dem Jahresende 1929 16,5 Prozent ihrer Mitglieder, die Christlichen 14,2 Prozent und die Hirsch-Dunckerschen Gewerkvereine 11,2 Prozent. Die ADGB-Verbände büßen 1932 noch einmal 600.000 Mitglieder ein, d. h. über 14 Prozent.

Ein anderes Bild zeigt die Entwicklung der Angestelltenverbände: Die drei großen Richtungszusammenschlüsse können 1930 noch eine Mitgliederzunahme verbuchen – der christlich-nationale Gedag sogar noch 1931, als AfA-Bund und liberaler GdA bereits Einbußen zu verzeichnen haben. In der Weltwirtschaftskrise setzt sich der Trend zur Stärkung der nationalistisch orientierten Angestelltenbewegung fort, während die christlich-nationalen Arbeitergewerkschaften nahezu gleich stark wie die Freien Verbände vom Mitgliederrückgang betroffen sind.

Ursachen für die Mitgliederverluste

In den meisten Fällen zeigt sich eine deutliche Abhängigkeit der Mitgliederentwicklung vom Stand der Arbeitslosigkeit unter den jeweiligen Verbandsangehörigen. Bereits 1929 zeigen sich Mitgliederverluste bei Hutarbeitern, Schuhmachern, Tabakarbeitern, Lederarbeitern und Textilarbeitern, bei denen die Arbeitslosigkeit schon 1929 im Jahresdurchschnitt zwischen 29,3 Prozent und 10,3 Prozent lag.

Im Jahre 1930 erreicht die Wirtschaftskrise dann nahezu alle Branchen und Berufsgruppen. 23 Prozent der Freien Gewerkschafter sind von Arbeitslosigkeit und 13,4 Prozent von Kurzarbeit betroffen. Besonders hohe Verluste in der Mitgliederbilanz – um die 10 Prozent und mehr – sind wiederum die Folge deutlich überdurchschnittlicher Arbeitslosigkeit. Das illustriert das Beispiel der Verbände der Steinarbeiter, der Dachdecker und der Sattler, bei denen die Arbeitslosenquote 47,7, 48,3 bzw. 35,9 Prozent beträgt.

Weniger Neueintritte

Berücksichtigt man das Fluktuationsvolumen, d. h. die Summe der Mitgliederzugänge und -abgänge pro Jahr, so zeigt sich, dass die Mitgliederverluste im Jahre 1930 (noch) nicht primär durch Gewerkschaftsaustritte, sondern durch den Rückgang der Neueintritte verursacht werden. Dies spiegelt die schwindende Attraktivität der Gewerkschaften wider. Erst 1931 steigen dann die Verlustquoten an, wobei es für die Gewerkschaften von zentraler Bedeutung ist, dass sie nicht nur überproportional viele an- und ungelernte Arbeiter verlieren, sondern dass nun auch die „Stamm-Mitgliedschaft” in der gelernten Facharbeiterschaft abnimmt.

Weniger junge Mitglieder

Schwerwiegend für die Gewerkschaften ist zudem die Veränderung des Altersaufbaus der Mitgliedschaft. Am Beispiel des Deutschen Metallarbeiter-Verbandes (DMV) lässt sich dies gut nachvollziehen: Von 1919 bis 1931 geht der Anteil der bis Zwanzigjährigen an der Gesamtmitgliedschaft von 22,7 auf 12,0 Prozent zurück. Den Rückhalt des DMV bildet mit 56,6 Prozent indessen nach wie vor die Altersgruppe der Zwanzig- bis Vierzigjährigen. Diese Entwicklung spiegelt zum einen den Mitgliederzustrom in der revolutionären Nachkriegsphase, zum anderen aber auch den im Ersten Weltkrieg beschleunigten Geburtenrückgang, der das Reservoir für den gewerkschaftlichen Nachwuchs schrumpfen lässt. Und schließlich sind Jugendliche von der Massenarbeitslosigkeit zu Beginn der 1930er Jahre überproportional betroffen, so dass sie kaum den Weg zur Gewerkschaft finden. So sehr dies von den Gewerkschaften beklagt und die Agitation verstärkt wird: Gegen die entsolidarisierende Wirkung der Krise kommen die Gewerkschaften nicht an.

Frauenanteil geht zurück

Auch der Frauenanteil sinkt in den Jahren der Krise deutlich. Beträgt er in den ADGB-Gewerkschaften 1919 21,8 Prozent, so liegt er 1931 nur noch bei 14 Prozent. Dennoch ist die Zahl der organisierten Frauen im Jahr 1932 mit 617.968 fast dreimal so groß wie 1913 (230.347).

Dass Frauen in den Gewerkschaften nur schwer „heimisch” werden, dürfte außer auf sozialisations-, rollen- und arbeitsplatzbedingte Faktoren auch auf die geringe Repräsentanz in den gewerkschaftlichen Gremien zurückzuführen sein. Auf Gewerkschaftskongressen sind kaum weibliche Delegierte vertreten, im Bundesvorstand ist überhaupt kein weibliches Mitglied zu finden. Fernhalten und Fernbleiben der Frauen von verantwortlichen Positionen in den Gewerkschaften fördern gewiss die „Entfremdung” zwischen Arbeitnehmerinnen und Verbänden und tragen so zum kontinuierlichen Rückgang des Frauenanteils von 1919 bis 1931 bei.

Schwächung der Leistungsfähigkeit

Die Leistungsfähigkeit der Verbände ist ab 1930 geschwächt. Mitgliederverlust einerseits, Arbeitslosigkeit, Kurzarbeit sowie Lohneinbußen der noch verbliebenen Mitglieder andererseits drücken nicht nur die Zahl der Mitgliedsbeiträge, sondern auch die Höhe der Zahlungen: 1930 zahlt über die Hälfte der ADGB-Mitglieder mehr als 52 Mark Jahresbeitrag, 1931 gehört nur noch ein gutes Drittel der Mitglieder in diese Beitragsklasse. Die Einnahmen der Freien Gewerkschaften gehen im Jahre 1931 gegenüber dem Vorjahr um mehr als ein Fünftel zurück, doch die Ausgaben können nur um 11 Prozent gesenkt werden. Die Zahl der Unterstützungsbedürftigen nimmt zu, die Gewerkschaften müssen Dauer und Höhe ihrer Leistungen reduzieren, um mit dem Geld auszukommen.

Die Ausgaben für Unterstützungszahlungen sinken 1931 gegenüber dem Vorjahr um 11 Prozent. Auch die Verwaltungs- und Personalkosten werden um 12,2 Prozent verringert. Ein Teil der finanziellen Krisenlasten kann überdies dadurch abgefangen werden, dass die Ausgaben für Arbeitskämpfe drastisch zurückgehen. Trotz der Massenarbeitslosigkeit werden zwar noch Streiks zur Abwehr von Lohnkürzungen usw. geführt. Doch die Zahl der Aktionen vermindert sich von 1929 bis 1931 um ein Drittel, und die Zahl der Streikbeteiligten sinkt 1931 auf etwas mehr als ein Viertel des Standes im Jahre 1929.

Gewerkschaftliche Unternehmen in der Krise

Die Krise geht auch an den gewerkschaftlichen Unternehmen nicht spurlos vorbei. Sowohl die Banken und Versicherungen als auch die Bau- und Konsumgenossenschaften müssen ab 1931 Umsatz- und Gewinneinbußen hinnehmen, was nicht nur den finanziellen Spielraum gewerkschaftlicher Aktionen einengt, sondern auch Krisenbewusstsein und Resignation verstärkt.

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Zum Artikel "Vereinigungsdebatte": Ulrich Borsdorf, Hans O. Hemmer u. Martin Martiny (Hrsg.), Grundlagen der Einheitsgewerkschaft. Historische Dokumente und Materialien, Köln u. Frankfurt/M.1977, S.196 ff.