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Arbeitslose auf dem Arbeitsamt, 1930

Lohn, Arbeitszeit, Urlaub: Tarifkonflikte nehmen an Schärfe zu

Das Ende der Inflation, die Regelung der Reparationsfrage mit dem Dawes-Plan und das Hereinströmen ausländischer Kredite ermöglichen ab 1924 einen Wirtschaftsaufschwung. Es ist der gewerkschaftlichen Politik zu verdanken, dass die Besserung der wirtschaftlichen Lage zumindest teilweise auch den Arbeitnehmern zugutekommt.

Obwohl die Gewerkschaften aus der Inflationskrise geschwächt hervorgehen, so zeigt ihr Arbeitskampfverhalten 1924 doch eine auffällige Militanz. Die Neuordnung der Währung und die Arbeitszeitverordnung vom Dezember 1923 machen neue Tarifabschlüsse erforderlich. 1924 wird, das zeigt ein Blick auf die Arbeitskampfstatistik, zum „Kampfjahr”. Doch das Zahlenverhältnis von Abwehr- und Angriffsbewegungen zeigt, dass die Gewerkschaften in einer Verteidigungsposition sind, aus der sie erst 1925 mit beginnender Stärkung der Organisationen herauskommen. 

Nicht zu übersehen ist auch, dass die Arbeitskampfaktivität nach der Inflation – wegen der Schwäche der Gewerkschaften und wegen der staatlichen Schlichtung – unter dem Niveau der Nachkriegsjahre liegt. Die Grenzen des Schlichtungswesens und der gewerkschaftlichen Durchsetzungskraft werden besonders deutlich im Ruhreisenstreit 1928. Hier zeigt sich, dass bereits vor der Weltwirtschaftskrise für die Arbeitgeber der Schwerindustrie das Ende der Kompromissbereitschaft erreicht war.

Debatte über die Lohnpolitik

Im Mittelpunkt der Gewerkschaftsarbeit in der Mitte der 1920er Jahre stehen die Lohnprobleme: Von 1924 bis 1929 steigen die Löhne rascher als die Lebenshaltungskosten, so dass die Reallöhne pro Woche 1928 bis 1929 das Niveau der Vorkriegszeit (1913/14) erreichen oder übersteigen.

Auch in den Zwanziger Jahren ist die Lohnentwicklung je nach Beruf und Industriezweig sehr unterschiedlich. Es wirft ein bezeichnendes Bild auf die gewerkschaftliche Politik, dass die Frauenlöhne nach dem Kriege wieder sinken, der Abstand zu den Männerlöhnen wird wieder größer.

Zwar steigt die Lohnquote, also der Anteil von Lohn und Gehalt sowie Arbeitgeberbeiträgen zur Sozialversicherung am Volkseinkommen, gegenüber 46,4 Prozent im Jahre 1913 enorm an auf 57,6 Prozent 1927 bzw. 59,8 Prozent 1929. Doch zu berücksichtigen sind nicht nur die Bevölkerungsentwicklung, sondern auch die Verarmung des Mittelstands im Gefolge der Inflation: Die Quote des „Renteneinkommens” wird gedrückt, und die Zahl der lohnabhängigen Arbeitnehmer steigt an.

Schon in den damaligen Debatten ist die Lohnhöhe überaus umstritten. Die Gewerkschaften, prominent vertreten durch Fritz Tarnow, meinen mit der Verbesserung der Einkommenssituation der Arbeitnehmer zugleich die Kaufkraft und damit die Wirtschaftstätigkeit zu stärken. Demgegenüber beharren die Arbeitgeber auf der Ansicht, die Löhne hätten eine Höhe erreicht, die sich als schwere Belastung der Investitionsentscheidungen auswirke. Das führe zur Lähmung der Wirtschaft und damit zur Verstärkung der Arbeitslosigkeit. Schuld an der Lohnhöhe seien die Gewerkschaften, aber auch die staatliche Schlichtungspraxis, auf deren Hilfe die Gewerkschaften bei aller Kritik an der Eingrenzung des Streikrechts – nach eigenem Eingeständnis – nicht verzichten wollen.

Die Lohnhöhe gilt auch manch wissenschaftlichem Betrachter – zu erinnern ist an die von Knut Borchardts Thesen ausgelöste Kontroverse“ – als eine der Ursachen für die „Krankheit” der deutschen Wirtschaft in den 1920er Jahren. Ausdruck dafür sind im langfristigen Vergleich das relativ geringe Wirtschaftswachstum, die relativ niedrige Investitionsrate und die relativ hohe Arbeitslosigkeit. Der inneren Logik dieser Argumentation entsprechend, gelten gewerkschaftliche Politik und staatliche Zwangsschlichtung als zentrale Ursachen für die wirtschaftliche Misere schon der 1920er Jahre.

Ohne auf die Debatte zu dieser Frage eingehen zu wollen, sei daran erinnert, dass die Weltwirtschaftskrise nicht von Deutschland ausgegangen ist und dass die Entwicklung der Löhne keineswegs den durch die Produktivitätsentwicklung gezogenen Rahmen sprengten. Auch sind die Löhne – man denke nur an das Zinsniveau – keineswegs der einzige Kostenfaktor. Und schließlich wird man einwenden können, dass angesichts des weltweiten Trends zur Schutzzollpolitik von der Exportwirtschaft keine ausreichenden Nachfrageimpulse gegeben werden konnten, so dass Wirtschaftsbelebung und Verminderung der Arbeitslosigkeit der Stärkung der Massenkaufkraft bedurften. Ohne die Lohnerhöhungen der 1920er Jahre hätte die wirtschaftliche Situation gewiss noch düsterer ausgesehen.

Schlichtungsverordnung vom 30. Oktober 1923 (pdf)

Konfliktthema Arbeitszeit

Zu den zentralen Konfliktthemen zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern gehört – natürlich – auch die Arbeitszeit. Die Arbeitgeber legen im Sommer 1924 eine Denkschrift über die Arbeitszeitfrage vor, in der es heißt: „Die deutsche Wirtschaft ist unter der Einwirkung des Versailler Diktats, der Inflation und der produktionsfeindlichen Sozialpolitik der Nachkriegszeit” – insbesondere des „schematischen Achtstundentages” – „zum Zusammenbruch gekommen”.

Auf der Basis dieser Position und mit der Arbeitszeitverordnung vom Dezember 1923 im Rücken, nutzen die Arbeitgeber nahezu aller Branchen die Gunst der Stunde und setzen Verlängerungen der Arbeitszeit durch. Trotz einer – im Hinblick auf die Schwäche der Gewerkschaften – bemerkenswerten Arbeitskampfaktivität im Jahre 1924 geht die 48-Stunden-Woche für mehr als die Hälfte der Vollarbeitskräfte 1924 verloren. Die Gewerkschaften können nur zum Teil dem Druck in Richtung auf eine Verlängerung der Arbeitszeit widerstehen: Die ab 1. Januar 1925 gültigen Tarifverträge gestatten für 10,9 Prozent der Arbeitnehmer eine Arbeitszeit von mehr als 48 Stunden pro Woche. Dieser Anteil steigt sogar bis zum 1. Januar 1927 auf 13,4 Prozent.

Positiver sieht die Bilanz der Tarifpolitik indessen in der Frage der Urlaubsregelung aus: Für Arbeiter und Arbeiterinnen besteht nach einjähriger Beschäftigung meist ein tarifvertraglicher Anspruch auf drei bis vier Tage bezahlten Urlaubs pro Jahr. Parallel zur Länge der „Dienstzeit” wächst auch die Urlaubsdauer auf maximal 12 bis 14 Tage. Für Angestellte ist in der Weimarer Republik eine Urlaubszeit von zwei bis drei Wochen allgemein üblich.

Angesichts der Rationalisierungsfortschritte und der hohen Arbeitslosigkeit treten die Freien Gewerkschaften jedoch immer wieder für die Rückkehr zum Achtstundentag und bald für eine darüberhinausgehende Arbeitszeitverkürzung ein. Auf einer öffentlichen Kundgebung zur Unterstützung dieser Forderung wird am 28. Oktober 1926 der Zusammenhang zwischen Arbeitslosigkeit und Rationalisierung betont: „Die herrschende Arbeitslosigkeit ist nicht zuletzt in der modernen wirtschaftlichen Entwicklung begründet. Es bedarf daher positiver Maßnahmen, um einen wesentlichen Rückgang der Arbeitslosigkeit, die zwangsläufig durch die fortschreitende technische und betriebsorganisatorische Vervollkommnung verursacht wird, herbeizuführen.” Die daraus abgeleitete Forderung nach sofortiger Verabschiedung eines „Arbeitszeitnotgesetzes” zur Wiederherstellung des Achtstundentags stößt – wie zu erwarten ist – auf heftige Ablehnung der Unternehmerschaft.

Durch einen Gesetzentwurf der SPD in Zugzwang gebracht und unter dem Druck der Christlichen Gewerkschaften auf die Zentrums-Fraktion, legt die Regierung im März 1927 einen Gesetzentwurf vor, der am 8. April 1927 vom Reichstag verabschiedet wird. Dieses „Arbeitszeitnotgesetz” sieht die Abschaffung der Straflosigkeit für die Annahme freiwilliger Mehrarbeit vor. Ein Überschreiten der Arbeitszeit von zehn Stunden pro Tag wird von der Erteilung einer behördlichen Genehmigung abhängig gemacht. Überstunden, gemessen an der Grundlage des Achtstundentages, sollen mit einem Lohnzuschlag von 25 Prozent vergütet werden.

Obwohl Vertreter der Arbeitgeberorganisationen an der Formulierung des Gesetzes mitwirken, kritisieren sie, dass der Achtstundentag grundsätzlich gültig bleibt. Dass auch noch Überstundenzuschläge verordnet werden, ist den Arbeitgebern ein besonderer Dorn im Auge. Die Freien Gewerkschaften verwerfen das Gesetz hingegen im Februar 1927 als „Hohn auf den Achtstundentag” und setzen bald – angesichts von Rationalisierung, Arbeitslosigkeit und dann Weltwirtschaftskrise – zum Kampf um die 40-Stunden-Woche an.

Zentrales politisches Betätigungsfeld der Gewerkschaften bleibt auch in der Weimarer Zeit die Sozialpolitik. Und es ist ein großer Vorteil für die Gewerkschafter aller Richtungen, dass in den Jahren bürgerlicher Regierungsmehrheit mit Heinrich Brauns (Zentrum) ein engagierter Sozialpolitiker Reichsarbeitsminister ist. Ihm ist zu verdanken, dass die am Ende der Inflation nahezu bankrotte Sozialversicherung wiederaufgebaut und sogar ausgeweitet wird. Dass auch für Brauns die Sozialpolitik immer der Wirtschaftspolitik nachgeordnet ist, fällt nicht auf, weil der relative wirtschaftliche Aufschwung Mitte der 1920er Jahre den Verteilungsspielraum vergrößert.

Den Höhepunkt der Weimarer Sozialgesetzgebung bildet ohne Zweifel das Gesetz für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG), das am 1. Oktober 1927 in Kraft tritt. Das AVAVG ist vom ADGB in Zusammenarbeit mit den Christlichen Gewerkschaften entworfen, im Reichsarbeitsministerium unter Brauns überarbeitet und schließlich vom Zentrum im Reichstag eingebracht worden. Es überantwortet die Wahrnehmung der beiden im Gesetzesnamen genannten Aufgabenbereiche erstmals einer zentralen Institution – der Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung. Mit der Lösung der Frage der Trägerschaft (zu gleichen Teilen Arbeitnehmer, Arbeitgeber und öffentliche Hand), mit der Aufteilung der Beitragszahlung (je 50 Prozent vom Arbeitnehmer und -geber), der Einführung eines Rechtsanspruchs auf die Versicherungsleistungen, der Aufgliederung der Versicherungsleistung in Hauptunterstützung und Familienzuschläge und schließlich auch mit der zeitlichen Leistungsbeschränkung ist die Konzeption der Reichsanstalt wegweisend für die Zukunft.

Doch die damalige Konstruktion birgt auch Probleme, vor allem was die Deckung der Ausgaben bei einer über 500.000 hinausgehenden Zahl von Arbeitslosen anlangt. Daneben besteht weiter die 1926 eingeführte Krisenunterstützung für bedürftige Arbeiter, die ihren Anspruch auf Versicherungsleistungen bereits erschöpft haben oder die Anwartschaft nicht erfüllen.

Insgesamt zeigt sich gegenüber dem Kaiserreich eine deutliche Erhöhung der öffentlichen Ausgaben. Diese Expansion ist vor allem eine Folge des Weimarer „Sozialinterventionismus”, der sich außer im Wohnungsbau und in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen in der Krise 1925/26 vor allem im Ausbau der Sozialversicherung niederschlägt. Dokumentiert wird die Bereitschaft zu sozial- und wirtschaftspolitischer Intervention im Betriebsrätegesetz, in den Arbeitszeitbestimmungen und schließlich in den Schlichtungsordnungen. Gerade diese Ausdehnung des staatlichen Engagements im sozial- und wirtschaftspolitischen Bereich, speziell der Anstieg der Sozialausgaben und der Ausbau der öffentlichen Unternehmen, gehört zu den umstrittensten innenpolitischen Fragen der Zwanziger Jahre. Vor allem die organisierte Unternehmerschaft meint darin eine „kalte Sozialisierung” erkennen zu können, die zeige, dass sich die Weimarer Republik auf dem Weg zum „Gewerkschaftsstaat“ befinde.

Die Zusammenarbeit beim AVAVG zeigt, dass die breit gefächerte parteipolitische Orientierung der Gewerkschaften sich auszahlen kann. Doch Ende der 1920er Jahre zeichnen sich deutlich die Grenzen ihres Einflusses innerhalb der Parteien ab. Sobald die Gewerkschaften das Feld der Sozialpolitik verlassen, bleiben die Erfolge aus. Das zeigt sich zum Beispiel in der Steuerpolitik. Die Gewerkschaften plädieren immer wieder für eine Erhöhung der Besitzsteuern und damit für eine Entlastung der Arbeitnehmer. Ohne Erfolg. Und auch in der Frage der Schutzzölle können sich die Gewerkschaften nicht durchsetzen. An eine verstärkte Kartell- und Monopolkontrolle und eine Aufhebung der Preisbindung, wie von den Gewerkschaften gefordert, ist nicht zu denken. Außerdem sind sich die Richtungsgewerkschaften in derartigen Fragen selten einig.

So ziehen sich die Freien Gewerkschaften Mitte der 1920er Jahre auf ihr ureigenstes Feld zurück: Zu Beginn der Republik seien die Gewerkschaften – so führte Theodor Leipart auf dem Breslauer Kongress im August/September 1925 aus – „in Aufgaben hineingedrängt” worden, die ihnen „eigentlich fern liegen”. Vorhaben der Zukunft sei es, sich den „eigentlich gewerkschaftlichen Aufgaben” verstärkt zuzuwenden. Er setzt sich 1928 im Wahlkampf – wie auch Siegfried Aufhäuser und Toni Sender – entschieden für die Wahl der SPD ein.

Doch gegenüber der 1928 unter sozialdemokratischer Führung gebildeten Regierung der großen Koalition beharrt er auf der Unabhängigkeit der Gewerkschaften. Auf dem Kongress in Hamburg gibt er der Hoffnung Ausdruck, die Regierung werde eine „sozialistische Politik” treiben, kündigt jedoch an, die Gewerkschaften werden die Regierung „ohne jede Rücksicht” kritisieren, wo sie es „im Interesse der Arbeiter für notwendig hielten.” Mit derartigen Stellungnahmen ziehen die Freien Gewerkschaften die Konsequenzen aus den Erfahrungen seit dem Kapp‑Putsch. Diese haben sie gelehrt, dass gewerkschaftliche Positionen oft genug koalitionspolitischen Rücksichten geopfert werden.

Auch die Erwartungen der Christlichen Gewerkschaften an ihre parteipolitischen Bündnispartner werden, was führende politische Repräsentanz anlangt, nicht erfüllt. Nachdem Adam Stegerwald 1920 in den Parteivorstand des Zentrums gewählt worden ist, gelingt es weder ihm noch Joseph Joos, dem Chefredakteur des Organs der Westdeutschen katholischen Arbeitervereine, der „Westdeutschen Arbeiterzeitung”, auf dem Parteitag 1928 den Vorsitz zu erlangen. Gewählt wird Prälat Ludwig Kaas, ein Trierer Professor für Kirchenrecht.

Auch in der DNVP setzt sich mit Alfred Hugenbergs Wahl zum Parteivorsitzenden ein Mann durch, dem nun keine engen Verbindungen zu den Gewerkschaften nachgesagt werden können. Zahlreiche evangelische Arbeiter wechseln daraufhin 1929 von der DNVP zum Christlich-sozialen Volksdienst. Diesen Schritt hat Walther Lambach, der Geschäftsführer des DHV, bereits 1928 getan. Doch die Mehrheit der DHV-Mitglieder wandert zur NSDAP. Von den 1930 in den Reichstag gewählten 107 nationalsozialistischen Abgeordneten gehören 16 zum DHV – oder anders ausgedrückt: Fast ein Drittel der 47 christlich-nationalen Gewerkschafter im Reichstag sind NSDAP-Mitglieder. Gerade die Angestellten reagieren mit nationalistisch-konservativer Radikalisierung auf die Gefahren sozialen Abstiegs und Statusverlusts.

Als Stegerwald 1929 Fraktionsführer des Zentrums im Reichstag und Reichsverkehrsminister wird, legt er seine Gewerkschaftsämter nieder. Dass 1929 Bernhard Otte zum Vorsitzenden des Gesamtverbandes der christlichen Gewerkschaften gewählt wird und Heinrich Imbusch an die Spitze des DGB tritt, sind Indizien für die „Selbstbesinnung” der christlich-nationalen Verbände auf ihre Gewerkschaftsaufgaben und für den Rückzug aus der Politik – jedenfalls versuchsweise.

Auch die Hirsch-Dunckerschen Gewerkvereine stehen Ende der 1920er Jahre vor gescheiterten politischen Plänen. Ihre parteipolitische Ansprechpartnerin, die DDP, hatte 1919 immerhin 18,5 Prozent der Stimmen erhalten, schrumpft aber bald zur Splitterpartei. Im September 1930 kann sie nur noch 3,7 Prozent der Stimmen auf sich vereinigen. Nachdem sich die DDP 1930 in Verbindung mit dem Jungdeutschen Orden zur Deutschen Staatspartei umgeformt hat, wechseln viele der linksliberalen Mitglieder – so auch Anton Erkelenz aus der Führung des Gewerkschaftsrings – zur SPD über.

In den 1920er Jahren entwickelt sich ein labiles Zusammenspiel von Maßnahmen des Sozialprotektionismus und der Stabilisierung der entwickelten privatkapitalistischen Ordnung. Die Staatsinterventionen nehmen dabei, sowohl was das Ausmaß als auch was die Form des Engagements anbetrifft, eine neue Qualität an. Der Interventionismus ist eben nicht nur bezogen auf den Bereich der Sozialpolitik im engeren Sinne, sondern erstreckt sich auf die Bereiche der öffentlichen Auftragsvergabe (Arbeitsbeschaffung) und auf die Gestaltung der Arbeitsbeziehungen (Arbeitszeit, Schlichtung), sodann aber auch auf Zoll- und Steuerpolitik.

Die Regierung greift jedoch vielfach nur indirekt in die Sozial- und Wirtschaftsordnung ein und überlässt es zunächst den Arbeitsmarktparteien, einen Konsens zu finden. Erst wenn diese zum Kompromiss nicht in der Lage sind, folgt der Schlichtungsmechanismus. Stehen sowohl am Anfang als auch am Ende der 1920er Jahre schwere Belastungen der gewerkschaftlichen Arbeit, so zeichnet sich doch für wenige Jahre eine gewisse Kooperation von Gewerkschaften, Arbeitgebern und Staat ab. Diesem „Weimarer Pluralismus”, den man allerdings angesichts der Vorherrschaft der unternehmerischen Position kaum als Gleichgewicht der Kräfte beschreiben kann, bleibt jedoch keine Zeit, solide Traditionen und belastbare Strukturen auszubilden.

4. Freiheitlich-nationaler Kongress des Gewerkschaftsrings deutscher Arbeiter-, Angestellten- und Beamtenverbände am 15. bis 17. November 1930 in Berlin, Berlin o. J.

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