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Ansicht des Alexanderplatzes mit Strassenbahnen; im Hintergrund das `Grand Hotel' in der Bildmitte die Berolina, vorn die Ecke Dircksenstrasse mit Loeser & Wolff Geschaeft - um 1900

Trotz schlechter Lebensbedingungen: Der Zustrom in die Städte hält an

Das Leben in den Städten ist verheerend. Daran ändern auch die verbesserten Arbeitsbedingungen, die von Arbeitervereinen und Gewerkschaften angesichts der guten wirtschaftlichen Entwicklung durchgesetzt werden können, nur wenig. Trotzdem hält der Zustrom von Arbeitern und Handwerkern in die industriellen Ballungsgebiete an.

Die Zahl der Menschen, die auf der Suche nach Arbeit in die Städte und die industriellen Ballungsgebiete ziehen, wächst schnell: Leben 1871 noch 65 Prozent der Bevölkerung in Dörfern und Kleinstädten, sind es 1910 nur noch 40 Prozent. Die meisten kommen aus den armen Randgebieten des Deutschen Reiches, etwa aus den ländlichen Regionen Ostpreußens oder der Eifel. Im gleichen Zeitraum wächst der Anteil der Großstädter an der Gesamtbevölkerung von 4,8 Prozent auf über 20 Prozent. Auch das Bevölkerungswachstum hält unvermindert an: die Einwohnerzahl Deutschlands schnellt von 1871 bis 1914 um 60 Prozent auf 68 Millionen hoch.

Viele der aus ihren traditionellen Bindungen gerissenen Menschen finden sich in den Städten der Industriezentren nur schwer zurecht, die Lebensbedingungen sind elend. Die Eigentümer von Wohnungen nutzen die Wohnungsnot schamlos aus.

Leichte Verbesserungen

Dennoch: In den 1890er Jahren zeigen sich erste Anzeichen für eine langsame Besserung der Lage. Die Einkommen von Arbeitnehmern in Industrie, Handel und Verkehr steigen von 1890 bis 1913 deutlich an, die Wochenarbeitszeit geht von über 66 Stunden auf 54 bis 60 Stunden zurück. Zu verdanken ist diese Entwicklung zu allererst dem Engagement der Gewerkschaften.

Auch die soziale Absicherung gegen Risiken wie Krankheit, Invalidität und Alter wird seit den 1880er Jahren verbessert: Die Krankenversicherung wird eingeführt, allerdings sind Familienangehörige nicht mitversichert. Unfallversicherung sowie die Invaliden- und Altersversicherung folgen. Es sind erste Schritte hin zu einem Sozialstaat. Allerdings: Es sind sehr bescheidene Schritte. Nach der Reichsversicherungsordnung aus dem Jahr 1911 haben Arbeiter erst ab dem 70. Lebensjahr Anspruch auf Rente, Angestellte aber bereits ab dem 65. Lebensjahr.

In den Genuss der Verbesserungen kommen zu allererst gut ausgebildete Facharbeiter, die in den aufstrebenden Industriebereichen einen sicheren Arbeitsplatz haben. Die langsame Erhöhung der Löhne, die Verkürzung der Arbeitszeit sowie die verbesserte Sozialgesetzgebung können nicht darüber hinwegtäuschen, dass immer noch viele Arbeiter und Arbeiterinnen mit ihren Familien in ärmlichen Verhältnissen leben.