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Sozialer Wandel in den gewerkschaftlichen Führungspositionen: Politisches Engagement der Arbeiter
Während in der Frühphase der Arbeiterbewegung vielfach Angehörige der Mittelschicht führende Positionen bekleiden, sind die Gewerkschaftsführer und -führerinnen ab den 1880er Jahren vor allem Arbeiter und Arbeiterinnen, die durch ihr Engagement für einen beruflichen Fachverband in eine gewerkschaftliche Spitzenstellung gelangen.
Die „normale“ Mitgliedschaft in den Organisationen der Arbeiterbewegung ist Teil des alltäglichen Lebens von Arbeitern und Arbeiterinnen, die sich damit in das sozialdemokratische bzw. katholische sozio-kulturelle Arbeitermilieu eingliedern. Dazu gehört die Mitgliedschaft in den entsprechenden politischen Parteien und Gewerkschaften, die Lektüre der entsprechenden Zeitungen und in vielen Fällen auch das Engagement in den Vereinen der jeweiligen Kulturbewegung, vom Turnen bis zum Singen. Dazu gehört auch die Mitgliedschaft in der entsprechenden Partei, der Sozialdemokratie bzw. des Zentrums. Und dazu gehört eine hohe finanzielle Opferbereitschaft, sind doch die Beiträge zu Partei und Gewerkschaft für die Bezieher niedriger Arbeiterlöhne deutlich spürbar. Schließlich wird die Bereitschaft zur Solidarität auch in Arbeitskämpfen auf eine harte Probe gestellt. Denn mit der Beteiligung nehmen die Streikenden nicht nur Lohneinbußen in Kauf. Sie bekennen sich damit in den Augen mancher Arbeitgeber zum „Klassenkampf“ und riskieren damit die Kürzung betrieblicher Zusatzleistungen, eine Kündigung und Eintragung in „schwarze Listen“.
Wer Mitglied in Gewerkschaft und/oder Partei ist, der opfert auch viel Zeit – Zeit, die wegen langer Arbeitszeiten ohnehin knapp ist. Der Weg zu den Versammlungen – zu Fuß oder mit dem Fahrrad – ist oftmals weit. Erst spät abends kehrt der Arbeiter zurück, um früh am Morgen wieder zur Arbeit zu gehen.
Dass sich vor allem Männer in ihrer Freizeit politisch bzw. gewerkschaftlich betätigen, liegt zum einen an der traditionellen Rollenteilung zwischen den Geschlechtern. Hinzu kommt, dass Frauen der Zutritt zum „öffentlichen Raum“, so er als „politisch“ gilt, weitgehend verwehrt ist. Erst nach Verabschiedung des Reichsvereinsgesetzes 1908 dürfen sie offiziell Mitglied in Gewerkschaften und Parteien werden. Aber die Belastung mit der alltäglichen Hausarbeit und die weit verbreiteten Vorbehalte gegen das „öffentliche Auftreten“ von Frauen sorgen dafür, dass sie sich auch nach 1908 selten in den Veranstaltungen einfinden. Anders die Angebote der Kirchen: Ob Gottesdienst, Messe oder geselliges Beisammensein im Pfarrhaus – hier ist die Beteiligung von Frauen, die meist stärker als ihre Männer am Gemeindeleben ihrer ländlichen Herkunft hängen, relativ groß.
Dennoch: Es ist eine Minderheit der Arbeiterinnen und Arbeiter, die in einer politischen Partei bzw. einer Gewerkschaft aktiv ist. Die Mehrheit der Arbeiter und Arbeiterinnen hält sich von den „Klassenorganisationen“ der Arbeiterbewegung fern. Viele wählen - wenn sie überhaupt wählen dürfen - bürgerliche Parteien, viele interessieren sich nicht für die Politik. Sie erwarten ohnehin nicht, dass sich ihre Lage verbessern könnte.
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