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Trotz Industrieller Revolution: Lange Phase der Depression
Die Industrialisierung schreitet schnell voran, ohne Rücksicht auf Umwelt und Lebensbedingungen der Arbeiterinnen und Arbeiter. Das Eisenbahnnetz wird zügig ausgebaut, neue technische Verfahren lassen Schwer- und Kohleindustrie boomen. Dennoch flaut die Konjunktur nach einem kurzen Hoch ab, die deutsche Wirtschaft durchläuft eine lange Phase der Depression. Erst Mitte der 1890er geht es wieder aufwärts.
Der deutsch-französische Krieg 1870/71 und die Reichsgründung 1871 lösen eine „nationalen Hochstimmung” aus, die die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands beflügelt. Auch die Vereinheitlichung des Geldwesens sowie des Postverkehrs und des Marktes stärken den Aufschwung.
Dazu ein paar Zahlen:
- Das Schienennetz wird ausgebaut von 28.000 km im Jahre 1875 auf fast 50.000 km im Jahr 1890.
- Die Roheisenproduktion erhöht sich von 1850 bis 1871 von 0,2 auf 1,6 Millionen t, bis 1890 sogar auf etwa 2,1 Millionen t.
- Die Herstellung von Stahl steigt deutlich an. Das ist technischen Neuerungen zu verdanken, die 1861 mit dem Bessemer-, 1878/79 dann mit dem Thomas-Verfahren die Arbeitswelt der Schwerindustrie verändern.
- Aufgrund verbesserter Fördertechniken wächst auch die Kohleproduktion.
Zudem zeigen sich bemerkenswerte Veränderungen des industriellen Bereichs: Durch Erfindungen und die Entwicklung bahnbrechender technischer Verfahren erlangen die elektrotechnische und die chemische Industrie neben dem Maschinenbau Weltgeltung.
Dennoch flaut die Konjunktur schon 1873/74 ab und mündet in eine lange Depression. Sie dauert, von schwachen Auftriebsphasen unterbrochen, bis in die Mitte der 1890er Jahre. Erst ab 1895 zeichnet sich ein wirtschaftlicher Aufschwung ab.
Unternehmer schließen sich zusammen
Bereits in den 1870er Jahren schließen sich die Unternehmer in Verbänden zusammen, um ihre wirtschaftlichen, sozialen und politischen Interessen gegenüber den Gewerkschaften gemeinsam zu vertreten. Anti-Streik- und Fabrikantenvereine entstehen, 1875 wird der Centralverband Deutscher Industrieller gegründet, der von der Schwerindustrie geprägt ist.
Zur Durchsetzung ihres Führungsanspruchs und zur Unterdrückung gewerkschaftlicher Aktivitäten schrecken die Arbeitgeber vor nichts zurück. Das Spektrum reicht von „schwarzen” Listen mit den Namen von „Rädelsführern“ über Aussperrungen und Zwangsausweisung von Streikenden bis hin zur Gründung von wirtschaftsfriedlichen Werkvereinen.
Die Mehrheit der Arbeitgeber lehnt es ab, Gewerkschafter überhaupt anzuhören oder gar mit ihnen zu verhandeln. Getreu dem „Herr-im-Haus”-Standpunkt sehen die meisten Unternehmer in der gewerkschaftlichen Forderung nach mehr Mitsprache als eine unberechtigte Einmischung betriebsfremder Elemente in ihre privaten Angelegenheiten. Für sie sind Gewerkschafter Störenfriede, die das eigentlich doch harmonische Verhältnis zwischen Arbeitgeber und einzelnen Arbeitnehmer zerstören.
Mahnung an die Arbeiter: Mischt euch nicht ein
Mit der Durchsetzung des industriellen Kapitalismus wachsen Bedeutung und Einfluss des Bürgertums. Allerdings passt dieses sich in seinen politischen Ordnungsvorstellungen weitgehend dem monarchischen Obrigkeitsstaat an. Deutlicher als Alfred Krupp in seinem „Wort an meine Angehörigen” vom Februar 1877 kann man diesen Standpunkt kaum vertreten: Jeder – so führt er aus – müsse „seine Schuldigkeit tun in Friede und Eintracht und in Übereinstimmung mit unseren Vorschriften”. Und er mahnt „seine“ Arbeiter: „Genießet, was euch beschieden ist. Nach getaner Arbeit verbleibt im Kreise der eurigen, bei den Eltern, bei der Frau und den Kindern und sinnt über Haushalt und Erziehung. Das sei eure Politik, dabei werdet Ihr frohe Stunden erleben. Aber für die große Landespolitik erspart euch die Aufregung. Höhere Politik treiben erfordert mehr freie Zeit und Einblick in die Verhältnisse, als dem Arbeiter verliehen ist. Ihr tut eure Schuldigkeit, wenn Ihr durch Vertrauenspersonen empfohlene Leute erwählt. Ihr erreicht aber sicher nichts als Schaden, wenn Ihr eingreifen wollt in das Ruder der gesetzlichen Ordnung. Das Politisieren in der Kneipe ist nebenbei sehr teuer, dafür kann man im Hause Besseres haben.”