Bevölkerung arrangiert sich mit dem SED-Regime

Rückzug in private Nischen

Nach dem Mauerbau bleibt den Menschen in der DDR nur, sich mit den Verhältnissen zu arrangieren. Sie leisten ihre Arbeit, beteiligen sich an sozialistischen Wettbewerben und bekunden auf Anordnung dem SED-Staat ihre Loyalität. Und sie schaffen sich ihre privaten „Nischen“, in die sich zurückziehen können.

Immerhin: Der Lebensstandard verbessert sich in den 1960er Jahren zusehends. Die verfügbaren Einkommen wachsen und das Warenangebot wird vielfältiger. Fernseher, Kühlschränke und Waschmaschinen ziehen in die Wohnungen ein. 1960 kommen auf 100 Haushalte 18,5 Fernsehapparate, 1970 sind es 73,6. Der Anteil der Haushalte mit einem Kühlschrank steigt von 6,1 auf 56,4 und der mit einer Waschmaschine von 6,2 auf 53,6 Prozent. Allerdings stellen lange Lieferzeiten die Geduld der DDR-Bürger oft auf eine harte Probe. Das gilt insbesondere für Autos: Bis zu zehn Jahre müssen DDR-Bürger auf einen Trabi warten. Kein Wunder, dass im Jahr 1970 von 100 Haushalten nur 15,6 ein Auto besitzen (1960 waren es 3,2).

Auch die Wohnraumbeschaffung bleibt ein Problem. Zwar werden in den 1950er und 1960er Jahren viele Wohnungen gebaut, doch das reicht nicht, um den gestiegenen Bedarf zu befriedigen. Außerdem sind die Wohnungen, insbesondere für Familien mit mehreren Kindern, zu klein. Aber die Mieten sind extrem günstig: Durch hohe staatliche Subventionen werden die Mieten so niedrig gehalten, dass nur etwa drei Prozent eines Nettoeinkommens dafür aufgebracht werden müssen. Dass deshalb nur wenig Geld für Instandhaltung und weitere Neubauten zur Verfügung steht, liegt auf der Hand.

Höhere Einkommen

Von 1960 bis 1971 steigt das durchschnittliche monatliche Arbeitseinkommen einer Vollzeitkraft in der Industrie von 571 auf 798 Mark, die Prämien, mit denen die Leistungsbereitschaft gefördert werden soll, klettern von 21 auf 62 Mark. Zum 1. Juli 1967 wird der monatliche Mindestlohn von 220 auf 300 Mark angehoben. Außerdem wird das Kindergeld ab dem 4. Kind erhöht, 1969 dann ab dem 3. Kind. Die Renten werden schrittweise von durchschnittlich 153 Mark (1961) auf 199 Mark (1970) erhöht.

Ab April 1965 wird stufenweise die 5-Tage-Woche eingeführt – zunächst jede zweite Woche bei einer Arbeitszeit von 45 Stunden pro Woche, ab August 1967 durchgängig 5 Tage mit einer Arbeitszeit von 43 Stunden und 45 Minuten. Anfang 1967 wird der gesetzliche Mindesturlaub von 12 auf 15 Tage, ab 1. Januar 1975 dann auf 18 Tage verlängert.

Große Sprünge kann man mit diesen Einkommen nicht machen. Dennoch: Es reicht, um „Nischen“ zu schaffen. Der große Renner ist die Datsche, auf der man mit Familie und Freunden das Wochenende verbringen kann. Die Urlaubsreise an die Ostsee, ins Erzgebirge oder ins befreundete „nicht-kapitalistische“ Ausland gehört ebenfalls bald zum Standard.

Ob die Zustimmung der Menschen zur DDR, wie von der SED erhofft, in diesen Jahren wächst, lässt sich nicht eindeutig sagen. Wahrscheinlicher aber ist, dass sie sich mangels Alternativen in ihr Schicksal fügen, sich anpassen und versuchen das Beste daraus zu machen. Nur vereinzelte kommt es zu kritischen Äußerungen, offenem Aufbegehren oder spontanen Arbeitsniederlegungen.

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