Heutige historische Bewertung

Zum Scheitern der Weimarer Republik

Die Bedingungen, unter denen die Weimarer Republik geschaffen wird, sind denkbar schlecht: Kriegsfolgen, Niederlage, wirtschaftliche und politische Dauerkrise – all das macht es der jungen Republik schwer, bei breiten Kreisen der Bevölkerung Zustimmung und Unterstützung für das Projekt einer parlamentarischen Demokratie zu gewinnen.

Hinzu kommt eine Reihe von strukturellen Problemen: Fast unverändert werden die Eliten des kaiserlichen Obrigkeitsstaates in die Weimarer Republik übernommen. Die (großen) deutschen Parteien verstehen sich bei aller wirtschaftlichen und sozialen Interessenbindung vielfach primär als „Weltanschauungsparteien“. Außerdem entwickelt sich, begünstigt vom Wahlrecht, eine große Zahl von kleineren Parteien, die eng umgrenzte Sonderinteressen vertreten. Mangelnde Kompromissfähigkeit aufgrund ideologischer und interessenpolitischer Verhärtung der Parteien sowie die Zersplitterung des Parteiensystems verdunkeln in den Augen weiter Kreise der Bevölkerung das Bild der Demokratie.

In der politischen Kultur der Weimarer Republik zeigen sich Nachwirkungen der Erfahrungen des obrigkeitsstaatlichen Kaiserreichs. Es gibt weit verbreitete Vorurteile gegenüber den politischen Parteien. Bezeichnend ist, dass die Parteien weder als Träger noch als Mitgestalter der politischen Meinungs- und Willensbildung in der Verfassung genannt werden. Weite Kreise der Bevölkerung sehen den Staat als „neutralen“, „über den Parteien stehenden“ Sachwalter des Gemeinwohls. Demgegenüber gelten die Parteien als Ausdruck der Spaltung der Nation in verschiedene weltanschauliche, konfessionelle, wirtschaftliche und soziale Gruppen. Das ist der Nährboden, auf dem die „Dolchstoßlegende“ und die Schmähung der „Erfüllungspolitiker“ gedeihen. Sie seien unter dem Einfluss der „Novemberverbrecher“ dem „unbesiegten Frontheer” in den Rücken gefallen.

Die Ressentiments gegen „Parteienstaat“ und Parlament („Schwatzbude“) nehmen gegen Ende der Weimarer Republik stark zu. Das Aufkommen von „Bünden“ und „Bewegungen“, die gegen Parlament und Parteien zu Felde ziehen, belegen diesen „Parteienüberdruss“ mit seiner Ablehnung von „Bonzenwirtschaft“ und „faulem Kompromiss“. Diese Vorurteile münden schließlich in der Ablehnung des ganzen „Systems“, und zwar von „rechts“ und von „links“.

Dennoch: Die Weimarer Republik mit ihrem Verfassungsauftrag und dem Ausbau der Sozialgesetzgebung war auf dem Weg zum demokratischen Sozialstaat. Die Realisierung des Verfassungsanspruchs, eine demokratische und soziale Republik schaffen zu wollen, scheitert daran, dass die demokratischen Traditionen nur wenig ausgebildet sind und dass die traditionellen Führungseliten, die ihre Machtpositionen behalten durften, nicht bereit sind, sich in eine demokratische Gesellschaft einzuordnen. Die gesellschaftspolitischen Vorstellungen von Justiz- und Verwaltungsbeamten, Militär und Politikern, Industriellen und Agrariern, aber auch weiter Kreise der Wählerschaft sind vom Kaiserreich geprägt. Es sind politische Entscheidungen, die vielfach von den Vertretern der „alten“ Eliten in Verwaltung und Wirtschaft gefordert oder unterstützt werden, die zur Aushöhlung und Schwächung der Republik beitragen und schließlich zur Machtübertragung an Adolf Hitler und die NSDAP führen.

Der Weg der Weimarer Republik in die Hitler-Diktatur war kein zwangsläufiges Schicksal.

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1930 - 1933

Gewerkschaften zwischen den Fronten: Angriffe von rechts wie von links
Tarifpolitik greift immer weniger: Gewerkschaften unterschätzen die Krise
Versuch einer Bilanz: Weimar war kein "Gewerkschaftsstaat"

Themen und Aspekte dieser Epoche:

Vereinigungsdebatte der Liberalen und Freien Gewerkschaften:  Unfähig, die Spaltung zu überwinden
Christliche Gewerkschaften bekennen sich zur Republik
Kurz vor Zwölf: ADGB-Programm für mehr Arbeit
Heutige historische Bewertung: Zum Scheitern der Weimarer Republik 

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Zum Artikel "Vereinigungsdebatte": Ulrich Borsdorf, Hans O. Hemmer u. Martin Martiny (Hrsg.), Grundlagen der Einheitsgewerkschaft. Historische Dokumente und Materialien, Köln u. Frankfurt/M.1977, S.196 ff.

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