Die zweite Revolution

Fordismus und Taylorismus

Bandmontage im Hanomag-Werk Hannover 1925

© AKG

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts dann die nächste Revolution in der Arbeitswelt. Ausgehend von den USA, werden die Ideen Henry Fords in der Automobilindustrie umgesetzt. Die Herstellung der Produkte wird durch Standardisierung, Typisierung und Normung vereinfacht, die Arbeitsvorgänge zerstückelt und auf einfache, monotone Handgriffe reduziert. Das verändert die Produktionsweise nach der Jahrhundertwende von Grund auf: Auf einem Fließband wird das Produkt von Arbeiter zu Arbeiter transportiert, so dass dieser jeweils nur einen kleinen Beitrag zur Fertigung zu erledigen hat. Da für diese einzelnen Produktionsschritte keine handwerkliche Ausbildung erforderlich ist, können in großer Zahl un- und angelernte Arbeitskräfte eingesetzt werden. Das Fließband bestimmt das Tempo, in dem gearbeitet wird.

Ergänzt werden die Ideen Fords durch weitere Maßnahmen der Rationalisierung: Verbunden mit dem Namen Frederick Winslow Taylor, entwickelt sich ebenfalls in den USA ein neues System, die Arbeitsvorgänge zu analysieren, in Einzelschritte zu zerlegen und damit zu „optimieren“, so dass ein Höchstmaß an Produktivität erzielt werden kann.

„Fordismus“ und „Taylorismus“, setzen sich in den 1920er Jahren auch in Deutschland durch. Zahlreiche Refa-Fachleute, zuständig für Arbeitsgestaltung und Betriebsorganisation, schwärmen in die Betriebe aus, um Produktivitätsreserven aufzuspüren und die Arbeitsvorgänge durch genaue Zeiterfassung der einzelnen Arbeitsschritte, der aufgewandten Kraft und der genutzten Hilfsmittel effektiver zu gestalten.

Die deutschen Gewerkschaften und die Betriebsräte, die nach 1920 entstehen, sehen nicht nur die Verdichtung der Arbeit mit Sorge. Sie befürchten überdies den Verlust von Arbeitsplätzen. Zugleich aber hoffen sie auf eine Verbesserung der Einkommens- und Lebensbedingungen. Die Entwicklung in den USA gilt vielen Gewerkschaftern als Vorbild. Wenig später, in der Weltwirtschaftskrise, platzen diese Träume: Die Massenarbeitslosigkeit und der Frontalangriff der Arbeitgeber auf die Errungenschaften von Revolution und Weimarer Republik schwächen die Handlungsmöglichkeiten der Gewerkschaften und höhlen den Sozialstaat aus, bevor dieser von den Nationalsozialisten zerstört wird.

1933, schon in den ersten Monaten nach der Machtübertragung an die Nationalsozialisten, werden die Betriebsräte und die Tarifautonomie abgeschafft und die Gewerkschaften zerschlagen. Wirtschaft und Arbeitsmarkt werden auf die Erfordernisse der Kriegführung umgestellt. Parallel dazu setzt sich in den 1930er Jahren die „Verwissenschaftlichung“ der Produktion – trotz der ideologischen Mythisierung der „Handarbeit“ im „Dritten Reich“ – unvermindert fort. In Abhebung vom amerikanischen Modell der Rationalisierung ist nun von „deutscher Rationalisierung“ die Rede. In der Praxis der Rüstungsindustrie vor und während des Krieges zeigt sich allerdings keine Differenz, geht es dem NS-Regime doch darum, seine Rüstungsziele mit einer begrenzten Zahl von Arbeitskräften zu erreichen. Forcierte Normung und Typisierung sowie weitere Zerstückelung der Arbeitsvorgänge sorgen dafür, dass un- und angelernte Arbeitskräfte – Jugendliche und Frauen sowie Ausländer – in die Produktion eingegliedert werden können. Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen werden in großer Zahl in den Industriebetrieben, aber auch in Bergwerken und in der Landwirtschaft beschäftigt. Zudem entstehen neben den Vernichtungslagern Industriekomplexe, in denen die KZ-Insassen zur Arbeit gezwungen werden.

Nach dem Ende der NS-Diktatur werden die im Krieg zerstörten oder in der Nachkriegszeit demontierten Betriebe vielfach nach neuesten Erkenntnissen von Arbeitstechnik und Betriebswissenschaft aufgebaut. Und die Rationalisierung, die seit den 1920er Jahren ständig voranschreitet, wird in den 1950er Jahren durch erste Schritte zur Automation von Produktionsprozessen ergänzt. Elektrisch angetriebene und gesteuerte Maschinen dringen in die Industrieproduktion ein. Wo früher Hunderte von Arbeitern und Arbeiterinnen geschuftet haben, stehen bald nur noch einige Facharbeiter und Ingenieure, die den Produktionsprozess überwachen und bei Störungen eingreifen.

Die durch die Rationalisierungsmaßnahmen eingesparten und durch den Wandel der Wirtschaftsstruktur „frei gesetzten“ Arbeitskräfte finden oftmals in anderen Wirtschaftsbereichen eine Anstellung. Befürchtungen der Gewerkschaften in den 1950er, die Arbeitslosigkeit werde durch die weitere Automation ansteigen, erweisen sich als unbegründet. Neue Industrien und Dienstleistungsbereiche nehmen die freiwerdenden Arbeitskräfte auf. Angesichts der seit Ende der 1950er Jahren herrschenden Vollbeschäftigung werden auch zunehmend Frauen in das Erwerbsleben einbezogen. Als das auch nicht reicht, werden ausländische Arbeitskräfte angeworben, zunächst vorwiegend aus Südeuropa, dann aus der Türkei. Beschäftigung finden die Migranten in Bergwerken und Fabriken, deren Produkte angesichts der Ausweitung des Massenkonsums ausreichend Nachfrage finden.

Den Arbeitern und Arbeiterinnen wird die Rationalisierung durch Akkordlohnsysteme, mit denen sie höhere Einkommen erzielen können, schmackhaft gemacht. Gleichzeitig führt die Massenfertigung zu Preissenkungen auch für langlebige Verbrauchsgüter, so dass sich – wie in den USA  – große Teile der Bevölkerung diese Produkte leisten können. Außerdem werden durch die Neugestaltung der Arbeitsprozesse schwere körperliche Belastungen abgebaut, die zuvor vielfach zu Krankheit und/oder frühzeitiger Invalidität geführt haben. An ihr Stelle treten jedoch andere Belastungen: Monotonie und Zeitdruck im Arbeitsalltag führen zu neuen arbeitsbedingten Krankheitsbildern, insbesondere Herz-, Kreislauf- und Magenerkrankungen.

Gewerkschaften und Betriebsräte versuchen mit tarifpolitischen Vereinbarungen etwa zur Arbeitszeit und unter Nutzung der gesetzlichen Mitbestimmungsmöglichkeiten den Prozess der Rationalisierung sozial verträglich zu gestalten. Die zunehmende Verdichtung der Arbeit, das Anwachsen der Schicht- und damit Nachtarbeit können sie indessen nicht aufhalten.

Rationalisierung auch im Osten

Die wirtschaftliche Entwicklung in der DDR steht vor ähnlichen Problemen: Auch dort wird die Rationalisierung propagiert, um Rohstoffe zu sparen und den Bedarf an Arbeitskräften zu senken. Sozialistische Einheitspartei, Staatsführung und Freier Deutscher Gewerkschaftsbund sind sich einig, dass die Erhöhung der Produktivität der einzige Weg zu mehr Wohlstand sei. Zwar ist die Erwerbsquote der Frauen deutlich höher als in der Bundesrepublik Deutschland. Dennoch herrscht, nicht zuletzt durch die Fluchtbewegungen bis zum Bau der Mauer im August 1961, ein Mangel an Arbeitskräften. Doch trotz der Rationalisierungsmaßnahmen und trotz der Leistungspropaganda bleibt die Produktivität im Osten hinter der der Wirtschaft in der Bundesrepublik zurück. Auch die Elektronikindustrie in der DDR kann, trotz erheblicher finanzieller Unterstützung, nicht mit der in den 1970er Jahren beginnenden digitalen Revolution Schritt halten.

Seiten dieses Artikels:

Industrielle Revolution:  Maschinen verändern das Leben
Das Fließband kommt: Fordismus und Taylorismus
Aktuell: Die digitale Revolution

Literaturhinweise:
Knud Andresen, Ursula Bitzegeio u. Jürgen Mittag (Hrsg.), „Nach dem Strukturbruch?“ Kontinuität und Wandel von Arbeitsbeziehungen und Arbeitswelt(en) seit den 1970er Jahren, Bonn 2011
Knud Andresen, Michaela Kuhnhenne, Jürgen Mittag u. Johannes Platz  (Hrsg.), Der Betrieb als sozialer und politischer Ort. Studien zu Praktiken und Diskursen in der Arbeitswelt des 20. Jahrhunderts, Bonn 2015
Reiner Hoffmann u. Claudia Bogedan (Hrsg.), Arbeit der Zukunft. Möglichkeiten nutzen – Grenzen setzen, Frankfurt/New York 2015

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