Nach dem Ende des SED-Regimes

Der FDGB in Auflösung

Es sind nicht die Gewerkschaften, die die Revolution in der DDR herbeiführen. DDR-Führung und mit ihr der FDGB-Bundesvorstand glauben noch im Herbst 1989, ihr Regime unverändert bewahren zu können. Das zeigen die Reden von SED- und FDGB-Funktionären anlässlich der Feierlichkeiten zum 40. Jahrestag der DDR. Und das, obwohl der Exodus der DDR-Bürgerinnen und -Bürger über Ungarn und die Tschechoslowakei längst begonnen hat und die Proteste überall im Lande zunehmen. Am 18. Oktober 1989, nur wenige Wochen nach dem Jubiläum, wird Erich Honecker als Generalsekretär der SED abgelöst, Egon Krenz übernimmt das Ruder. Doch die Versuche, die DDR durch Reformen zu retten, kommen viel zu spät.

Der FDGB hält Honecker die Treue – bis zu seinem Ende. Noch zwei Tage vor dessen Rücktritt betont Harry Tisch in der „Jungen Welt“, „wer die Gewerkschaften benutzen will, um unter ihrem Schirm gegen den Staat aufzutreten, der ist bei uns in der DDR am falschen Platz“.

Nach der Ablösung Honeckers stellt sich der FDGB-Vorstand auf die neue Situation ein und unterstützt nun Egon Krenz und Günter Schabowski, die in der SED-Führung als „Reformer“ gelten. Von den Ereignissen überrollt, tritt Harry Tisch am 3. November 1989 zurück. Seine Nachfolgerin an der Spitze des FDGB wird Annelies Kimmel, die zuvor den Ost-Berliner FDGB geleitet hat. Sie stellt Reformen in Aussicht: Erstmals wird nun auch das Ziel artikuliert, den FDGB aus der Abhängigkeit von der SED herauszuführen.

Die behutsamen Reformen, die die SED im November einleitet, reichen nicht aus, das System zu stabilisieren. Am Abend des 9. November 1989 verkündet Günter Schabowski, dass die Grenze nach Westdeutschland offen ist. 

Treffen von Ernst Breit DGB und Harry Tisch FDGB) in Stuttgart, 16. September 1989

© AdsD/6/FOTA073692; Urheber: Melchert; dpa

Auch die Reformfähigkeit des FDGB ziehen viele in Zweifel. Schon einen Tag nach dem Rücktritt von Harry Tisch geht eine Initiative für Unabhängige Gewerkschaften in der DDR (IUG) an die Öffentlichkeit. Am 20. Dezember 1989 folgt dann der konkrete Aufruf von Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen in 40 Ost-Berliner Betrieben zur Gründung einer Unabhängigen Gewerkschaft. Am 4. März 1990 publiziert die IUG einen Bericht über den Stand der alternativen Gewerkschaftsbewegung in der DDR und über die Pläne zur Gründung einer Unabhängigen Gewerkschaftsbewegung (UGB). Aus dieser Initiative geht die “Initiative für kritische Gewerkschaftsarbeit” hervor, die sich am 17. Dezember 1990 im Berliner Haus der Demokratie trifft. Schon diese Umbenennung signalisiert, dass es angesichts der Ausdehnung der DGB-Gewerkschaften im Laufe des Jahres keinen Platz für eine “neue” Gewerkschaftsbewegung gibt.

Behutsame Neuorientierung des FDGB

Doch noch besteht der FDGB fort. Aber die Ereignisse überschlagen sich. Am 1. Dezember 1989 ändert die Volkskammer die DDR-Verfassung und streicht den Hinweis auf die Führungsrolle der SED. Zu dieser Zeit kommen Informationen an die Öffentlichkeit, die die Führung des FDGB schwer belasten. Es geht um den persönlichen Lebensstil von Harry Tisch und um den unsachgemäßen Einsatz der Finanzmittel des FDGB. Daraufhin wird Tisch am 29. November 1989 aus dem FDGB ausgeschlossen.

In der selben Sitzung plädiert die IG Metall (im FDGB) dafür, den FDGB in einen Dachverband selbstständiger Einzelgewerkschaften umzuwandeln und dafür einen außerordentlichen FDGB-Kongress einzuberufen. Dieser Kongress soll am 31. Januar und 1. Februar 1990 stattfinden. Doch am 3. Dezember treten Zentralkomitee und Politbüro der SED zurück, Harry Tisch wird verhaftet.  Daraufhin beschließt der FDGB-Vorstand auf seiner Sitzung am 9. Dezember 1989, ebenfalls zurückzutreten. Die Führung des FDGB wird einem Vorbereitungskomitee für den Außerordentlichen FDGB-Kongress übertragen, das von Werner Peplowski (SED), dem Chef der IG Druck und Papier im FDGB, geleitet wird.

Unterdessen werden in einer Reihe von Betrieben die Betriebsräte wiederbelebt. Die Betriebsgewerkschaftsleitungen lösen sich vielfach auf. Außerdem bilden sich im Dezember mehrere Initiativen zur Gründung unabhängiger Gewerkschaften. Der FDGB verliert bis zum Januar 1990 etwa 800.000 Mitglieder. Viele, die ihre Mitgliedschaft noch nicht aufgeben wollen, stellen die Zahlung der Mitgliedsbeiträge ein.

Der letzte FDGB-Kongress

Das Vorbereitungskomitee für den Außerordentlichen FDGB-Kongress Ende Januar 1990 präsentiert dem Kongress vier Beschlussvorlagen, und zwar die Entwürfe für eine neue FDGB-Satzung, Vorschläge zur Änderung der DDR-Verfassung, für ein eigenes Gewerkschaftsgesetz und für ein Aktionsprogramm.

Nach zum Teil kontroverser Debatte, in der es u.a. um die demokratische Legitimation der Delegierten, um Amtsmissbrauchs- und Korruptionsvorwürfe und um die Selbsterneuerung der Gewerkschaften geht, bleiben die Reformbeschlüsse hinter den Erwartungen zurück. Als neue Vorsitzende des FDGB wird Helga Mausch gewählt, die Mitglied der National-Demokratischen Partei Deutschlands (NDPD) ist. Durch die Änderung der Satzung nähert sich der FDGB dem Organisationsmodell des DGB an: Er wird zu einem Dachverband mit selbstständigen Einzelgewerkschaften. Das eröffnet die Möglichkeit, die Kontakte zu Einzelgewerkschaften in Westdeutschland zu intensivieren.

Die vom FDGB beschlossene Vorlage für eine Änderung der Verfassung soll die Gewerkschaftsartikel 44 und 45 neu fassen und die Unabhängigkeit der Gewerkschaften garantieren. Gleichzeitig soll im Gewerkschaftsgesetz der Einfluss des FDGB auf das politische Leben und in den Betrieben der DDR festgeschrieben werden. Der FDGB beansprucht – wie in der Vergangenheit – das Monopol auf die Interessenvertretung aller Werktätigen. Die „alte“ Volkskammer verabschiedet die vom FDGB vorgeschlagenen Verfassungsänderungen. Doch nach den Volkskammerwahlen vom 18. März 1990 spielt das keine Rolle mehr.

Auflösung des FDGB

In den folgenden Monaten löst sich der FDGB faktisch auf. Die Einzelgewerkschaften nehmen parallel zum Prozess der deutschen Einigung Kontakt zu den entsprechenden DGB-Gewerkschaften auf, um die Möglichkeiten eines Zusammenschlusses auszuloten.

Die Ablösung des Vorstandes des FDGB durch einen Sprecherrat der FDGB-Einzelgewerkschaften am 9. Mai 1990 macht den Weg frei zu einer “Gründungs- und Kooperationsoffensive”. Am 9. Mai 1990 beschließen die Vorsitzenden der 20 Einzelgewerkschaften des FDGB, dessen Auflösung einzuleiten. Am selben Tag bekennt sich der DGB zum Ziel einer einheitlichen deutschen Gewerkschaftsbewegung unter dem Dach des DGB.

Die Vorsitzenden der FDGB-Einzelgewerkschaften beschließen zudem, das Vermögen des FDGB auf die Einzelverbände zu verteilen. Als vorläufiger Dachverband wird ein „Bund der Vorsitzenden der Industriegewerkschaften und Gewerkschaften“ gebildet, der von einem dreiköpfigen Sprecherrat vertreten wird.

Nachdem sich der DGB am 9. Mai 1990 zum Ziel einer einheitlichen deutschen Gewerkschaftsbewegung bekannt hat, treffen sich am 10. Mai der Vorsitzende des gerade gebildeten Sprecherrats, Peter Rothe, und Ernst Breit, der DGB-Vorsitzende, um über den Vereinigungsprozess der Gewerkschaften zu beraten.

DGB zur deutschen Einheit (pdf)

Die bisherige FDGB-Vorsitzende erhält den Auftrag, den Auflösungskongress vorzubereiten. Dieser findet am 14. September 1990 statt und beendet – bei zwei Gegenstimmen – die Geschichte des FDGB.

Seiten dieses Artikels:

Die Schwerpunkte des FDGB:  Die DDR schützen und verteidigen
Nach dem Ende des DDR-Regimes:  Der FDGB löst sich auf
Zur Rolle des FDGB im SED-Staat: Die Werktätigen zur Leistung anspornen

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Quellen und LIteraturhinweise zur Entwicklung des FDGB in der DDR 1974-1990

Autorenkollektiv, geleitet von Heinz Deutschland, Geschichte des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes, Berlin (DDR) 1982

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Dowe, Dieter u. Michael Kubina (Hrsg.), FDGB-Lexikon. Funktion, Struktur, Kader und Entwicklung einer Massenorganisation der SED (1945-1990), Berlin 2009

Fichter, Michael u. Stefan Lutz, Gewerkschaftsaufbau in den neuen Bundesländern. Eine Chronik der Ereignisse 1889-1991 mit Dokumentenanhang (= Berliner Arbeitshefte und Berichte zur sozialwissenschaftlichen Forschung, Nr. 64), Oktober 1991

Gill, Ulrich, FDGB. Die DDR-Gewerkschaft von 1945 bis zu ihrer Auflösung 1990, Köln 1991

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Hübner, Peter, Christoph Kleßmann u. Klaus Tenfelde (Hrsg.), Arbeiter im Staatssozialismus. Ideologischer Anspruch und soziale Wirklichkeit, Köln 2005

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Pirker, Theo, Hans-Hermann Hertle, Jürgen Kädtler u. Rainer Weinert, FDGB – Wende zum Ende. Auf dem Weg zu unabhängigen Gewerkschaften?, Köln 1990

Das Emblem des FDGB

Emblem des FDGB   © Gemeinfrei

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