Zu Ordnung und Disziplin ermahnen die Gewerkschaften ihre Mitglieder nachdem Hitler zum Reichskanzler ernannt wurde. Sie bieten dem neuen Regime gar ihre Mitarbeit an. Immer in der Hoffnung, sie könnten dadurch ihre Organisationen retten. Ein schrecklicher Irrtum: Am 2. Mai 1933 werden die Freien Gewerkschaften zerschlagen.
„Kühles Blut und Besonnenheit“ sei das Gebot der Stunde, sagen der Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbund (ADGB) und die Christlichen Gewerkschaften in einer gemeinsamen Erklärung, nachdem Adolf Hitler vom Reichspräsidenten Paul von Hindenburg zum Reichskanzler ernannt worden ist. Und sie ermahnen ihre Mitglieder: „Laßt euch nicht zu voreiligen und darum schädlichen Einzelaktionen verleiten.”
Flugblatt des ADGB vom 15. April 1933: Aufruf zur Teilnahme an den Feiern zum "Tag der nationalen Arbeit" am 1. Mai 1933
© AdsD/FLBL003643
Mit dieser Erklärung grenzen sich die Gewerkschaften gleichzeitig von der Kommunistischen Bewegung ab. Diese fordert eine „Einheitsfront“ gegen Hitler und will den Generalstreik ausrufen. Die Sozialdemokraten lehnen ab. Sie fürchten, dass ein Generalstreik zu einem Bürgerkrieg führen würde, der für die Arbeiterschaft nicht zu gewinnen sei; außerdem könnte die Arbeiterschaft den Kommunisten in die Arme getrieben werden. Allerdings: Ob die Masse der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dem Aufruf zu einem Generalstreik gefolgt wäre, ist mehr als fraglich.
In den folgenden Wochen und Monaten sind die Gewerkschaften zu weiteren Kniefällen vor den Nationalsozialisten bereit: Sie nehmen hin, dass die Sozialordnung der Weimarer Republik zugunsten einer nationalsozialistischen Arbeitsordnung außer Kraft gesetzt wird. Sie versuchen sich als „Schule der Verantwortung“ zu inszenieren und erklären, dass sie sich in den neuen Staat einordnen. Und sie nehmen hin, dass der 1. Mai von den Nationalsozialisten in einen „Tag der nationalen Arbeit“ umgemünzt wird. Sie hoffen, dass ihre Bereitschaft zur Anpassung von den Nationalsozialisten honoriert wird und ihre Organisationen verschont bleiben.
Ein fataler Irrtum: Am 2. Mai 1933 werden die Büros der Freien Gewerkschaften in ganz Deutschland gestürmt, die Vermögen beschlagnahmt und führende Gewerkschafter verhaftet. Einen Tag später unterwerfen sich die anderen Richtungsgewerkschaften, die sich noch wenige Tage zuvor mit den Freien Gewerkschaften im „Führerkreis der vereinigten Gewerkschaften“ zusammengeschlossen haben, dem „Aktionskomitee zum Schutze der deutschen Arbeit”. Das ist das Ende der Gewerkschaftsbewegung. Die Politik der Anbiederung an die neuen Machthaber hat die Auflösung der Gewerkschaften nicht verhindert.
Widerstand zuhause und im Exil
Die Gewerkschaften sind auf die Arbeit in der Illegalität nicht vorbereitet. Viele müssen fliehen, viele werden verhaftet. Die Gewerkschaftsführer, die in Deutschland bleiben, stehen unter besonderer polizeilicher Kontrolle. Dennoch entwickelt sich gewerkschaftlicher Widerstand. Er ist darauf gerichtet, den Zusammenhalt oppositioneller Gewerkschafter aufrechtzuerhalten, Informationen über die Situation in den Betrieben zu verbreiten und die Propaganda der Nationalsozialisten zu widerlegen. Gewerkschafter im Exil und zuhause in Deutschland versuchen auf vielfältige Weise in Kontakt zu bleiben und treffen Vorbereitungen für die „Zeit danach”.
Wie groß die Zahl der Gewerkschafter ist, die vor den Nationalisten fliehen müssen, lässt sich nicht mit Gewissheit sagen. Das „Biographische Handbuch der deutschsprachigen Emigration“ spricht von etwa 150 „prominenten“ Gewerkschaftern. Wie viele nicht bekannte Gewerkschafter ins Exil gegangen sind, ist nicht belegt.
Auslandsvertretung der deutschen Gewerkschaften
Die im Exil lebenden Gewerkschafter sind bemüht, den Widerstand vom Auslad aus zu koordinieren. Im Herbst 1934 wird in der Tschechoslowakei die Auslandsvertretung der deutschen Gewerkschaften gegründet. Auch zeigen sich vereinzelt Ansätze zur Zusammenarbeit sozialdemokratischer und kommunistischer Gewerkschafter. Dennoch: Die Einheitsfrontparolen der Kommunistischen Internationale finden kaum Gehör.
Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges müssen viele der im Exil lebenden Gewerkschafter erneut fliehen. Schweden, England und die Schweiz werden zu den wichtigsten Aufnahmeländern. Von dort aus unterstützen sie den Widerstand in Deutschland und versuchen die Deutschland-Politik der Alliierten zu beeinflussen. Und sie arbeiten an Programmen für den Neuaufbau der Gewerkschaften in der „Nach-Hitler-Zeit”.
Das Attentat vom 20. Juli 1944
Einzelne Gewerkschafter, die in Deutschland leben, haben Kontakt zu den Widerstandsgruppen des 20. Juli 1944. Zu nennen sind vor allem Wilhelm Leuschner von den Freien, Jakob Kaiser von den Christlichen Gewerkschaften und Max Habermann vom Deutschnationalen Handlungsgehilfenverband.
Trotz der Vorbehalte und des immer wieder aufflackernden Misstrauens gegen eine politische Zusammenarbeit von Vertretern so unterschiedlicher Gruppen wie Adel, Arbeiterbewegung, Industrie, Kirche und Militär, gelingt es, ein Regierungsbündnis für die Zeit nach dem Umsturz zu vereinbaren. Doch das Attentat von Graf Stauffenberg scheitert und diejenigen, die es vorbereitet haben, werden gejagt. Einigen gelingt es, rechtzeitig unterzutauchen, andere, wie Wilhelm Leuschner werden verhaftet und zum Tode verurteilt.
Bittere Bilanz
Tausende von Gegnern des NS-Regimes sterben in den Zuchthäusern und Konzentrationslagern der Diktatur. Mindestens 25.000 werden nach amtlicher Statistik als politische Oppositionelle zum Tode verurteilt. Unter den Opfern sind Gewerkschafter aller Richtungen.
Doch ihr Widerstand stärkt in den Augen der Alliierten die Glaubwürdigkeit der Gewerkschaften. Das trägt dazu bei, dass sie nach dem Ende der nationalsozialistischen Diktatur am Wiederaufbau Deutschland mitwirken können.